Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
Daumen und schlief sofort ein, als ich ihn seiner Mutter reichte. Er war das erste von Katharinas Kindern, das sie in den Arm nehmen durfte.
    Draußen schritt Grigori Orlow nervös auf dem Gang hin und her.
    Ich öffnete die Tür. Grigori stürzte auf mich zu, fasste meine Hände und fragte atemlos: »Katinka? Geht es ihr gut?«
    Ich nickte. Ich wollte ihm sagen, dass er einen Sohn hatte, aber ich war so erleichtert, dass ich keinen Ton herausbrachte. Ich trat einfach beiseite und ließ ihn eintreten.
    Sie hatten nicht viel Zeit, gerade genug für eine Umarmung und ein paar zärtliche Worte. Der Brief, den Katharina geschrieben hatte für den Fall, dass sie bei der Geburt starb, verbrannte ungeöffnet im Kaminfeuer.
    Alexej Orlow hatte versprochen, uns zu beschützen, und er hatte sein Wort gehalten. Zusammen mit einigen Kameraden – alle Teilnehmer der Verschwörung, die Katharina auf den Thron bringen sollte – hatte er ein unbewohntes Haus in der Nähe des provisorischen Palasts in Brand gesetzt, um die Leute abzulenken, sodass niemand Katharinas Schreie hörte. Es war ein spektakuläres Feuer, erzählte man mir später. Flammen schlugen hoch aus dem Dach und den Fenstern, die Decken fielen ein, krachend und funkenstiebend stürzten Balken ab. Aus einem Schuppen flogen Hühner mit versengten Federn auf, Schweine liefen panisch quiekend über den Hof. Niemand im dichten Gedränge der Schaulustigen würde eine einzelne Frau, die, ein Bündel auf dem Arm, aus dem Palast auf die Große Perspektivstraße trat, beachten oder gar verfolgen.
    Katharina gab dem Neugeborenen den Namen Alexej.
    Sie küsste ihren zweiten Sohn auf die süßen Lippen, bevor sie ihn mir gab. Ich wickelte ihn in ein Biberfell und brachte ihn zu dem kinderlosen Ehepaar, das sich bereiterklärt hatte, den Säugling bei sich aufzunehmen. Der ehemalige Diener und seine Frau waren außer sich vor Glück, als ich ihnen das Baby brachte. »Nur, bis seine Mutter ihn wieder zu sich nehmen kann«, sagte ich ihnen, »nicht länger.«
     
    Jetzt, da Katharina die Geburt wohlbehalten überstanden hatte, dachten wir nur noch an unsere Palastrevolution.
    Die Orlows hatten recht behalten. Die Zahl derer, die Peter misstrauten, wuchs stetig, seit er an der Macht war; immer mehr Leute schlossen sich der Verschwörung an, und keineswegs nur Offiziere der Garderegimenter.
    Im Winter hatte die russische Armee die Festung Kolberg eingenommen. Der Sieg wurde als kriegsentscheidend angesehen. Man erwartete die endgültige Vernichtung der preußischen Truppen und die Besetzung ganz Ostpreußens.
    Aber dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte: Nicht genug, dass Peter ganz offen zu erkennen gab, dass die Niederlage der Preußen ihn verdross, bot er nun dem König von Preußen einen Frieden an. »Das Mirakel des Hauses Brandenburg«, sollte Friedrich dieses Ereignis nennen. Einen Frieden ohne Bedingungen, ohne Forderungen für einen Kriegsgegner, der bereits am Rand des Abgrunds stand.
    Sankt Petersburg erstarrte in ungläubiger Erbitterung.
    Und dafür sind unsere Ehemänner, Söhne und Brüder auf den Schlachtfeldern von Groß-Jägersdorf und Zorndorf hingemetzelt worden? , fragten die Leute.
    Als immer mehr Berichte eintrafen, die von dem Jubel der Preußen angesichts ihrer wunderbaren Errettung erzählten, trug Alexejs monatelange Überzeugungsarbeit Früchte. Graf Kirill Rasumowski, der Bruder des früheren »Kaisers der Nacht«, bot Katharina seine Unterstützung an, ebenso Fürst Trubezkoj und Fürst
Repnin. Nur Graf Panin, der Erzieher des Großfürsten, zögerte noch. Er bewundere die Großfürstin, sagte er, aber er wolle nicht, dass Russland wieder von einer Frau regiert werde.
    »Auch wenn sie nur die Regentschaft für ihren Sohn führt?«, fragte Alexej.
    Katharina blühte auf. Obwohl sie von frühmorgens bis spät in die Nacht hinein auf den Beinen war, sah man ihr die Anstrengung nicht an. Sie brachte jetzt ihre Tage nicht mehr mit Lesen zu, sondern verhandelte mit Geldgebern über Kredite, kümmerte sich um die nötigen Sicherheiten, vertröstete ungeduldige Gläubiger. Ein vertrauenswürdiger Drucker auf der Wasiljewskiinsel, der meinen Vater noch gekannt hatte, stellte unter strengster Geheimhaltung Flugblätter und Plakate mit einer Proklamation her, in der Katharina ein Ende aller Schmach und Unterdrückung versprach, ein freies Russland, in dem nicht Gewalt und Angst, sondern die Vernunft und das Gesetz regierten. Graf Panin, dem man

Weitere Kostenlose Bücher