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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Fürst Trubezkoj, der Generalprokurator, Tränen auf seinem gepuderten faltigen Gesicht, die Tür zum Vorzimmer und verkündete: »Ihre Majestät ist in Gott entschlafen. Gott schütze unseren allergnädigsten Kaiser Peter III .«
    In diesem bedrückenden Sterbezimmer spürte ich plötzlich den Drang, hinauszulaufen in die eisig kalten Straßen. Nicht die Große Perspektivstraße lockte mich, sondern das Gewirr von Seitensträßchen und Gassen, wo Lehmhäuser standen, wo sich hinter
dünnen Mauern Menschen dicht zusammendrängten und Zugtiere in den Ställen schnaubten.
    Das ist ihr Weg , dachte ich. Im Geist ging ich ihn mit ihr, vorbei an den Kneipen, in denen Geigen spielten und Kosaken tanzten, dass die Beine nur so flogen, wo alte Männer von Mongolenpferden erzählten, denen man die Nüstern aufgeschlitzt hatte, damit sie besser Luft bekamen. Das war der Weg, auf dem die Seele der Kaiserin wanderte, bevor sie diese Welt verließ, während ihr erkaltender Körper hier auf dem Bett lag, die Augen geschlossen, die Hände gefaltet, gefühllos und gleichgültig.
    Im Großen Thronsaal des Winterpalasts nahm Peter in der grünen Uniform des Preobraschenski-Regiments die Huldigung des Erzbischofs von Nowgorod entgegen, der ihn aufforderte, den Thron seiner Vorfahren aus dem Haus Romanow in Besitz zu nehmen. Die Zeremonie fand in Abwesenheit des Großfürsten Paul statt, und auch Katharina, die im Sterbezimmer der Kaiserin die Totenwache hielt, war nicht verständigt worden.
    Der neue Kaiser wollte allein regieren.
    Im Thronsaal drängten sich die Höflinge, um dem Herrscher zu huldigen. Draußen auf dem von Fackeln beleuchteten Platz waren alle Garderegimenter angetreten und warteten darauf, dass sie an die Reihe kamen, ihren Treueschwur zu leisten und unter Salut und Hochrufen ihre Fahnen vor dem Kaiser zu senken.
    Am Morgen des 26. Dezember um sechs Uhr verkündete Kanonendonner von der Festung den Aufbruch Russlands zu neuen Ufern.

Elf
    1762
    D ie Toten kommen zurück wie Diebe, die in meine Nächte
einbrechen, ich höre sie rumoren, ich spüre, wie sie mich streifen, und schrecke hoch mit wild pochendem Herzen. Es sind immer die falschen Toten, unwillkommene, unerwünschte Tote – die anderen bleiben aus.
    Geht, verschwindet in eure Ewigkeit , sage ich zu den Schatten.
    Aber sie gehen nicht. Sie wissen, dass ich ihr Flehen nicht ertragen kann. Dass ich zu dünnhäutig bin, dass meine eigenen Zweifel zu schwer wiegen, dass die Verrätereien, die wir, die wir uns Katharinas Freunde nannten, in jenen sechs Monaten nach Elisabeths Tod begingen, mir auf der Seele liegen.
    Während im Winterpalast, wo die einbalsamierte Leiche der Kaiserin aufgebahrt lag, prächtig in Silber gekleidet und mit Gold gekrönt, weinende Untertanen am offenen Sarg vorbeidefilierten, fühlte ich mich wie ein Spieler, der alles auf eine Karte gesetzt hat: Mach, dass es schnell geht, damit das Neue beginnen kann.
    Aber es begann nicht, nicht sofort, sondern erst nach einer Zeit quälender Spannung. Diejenigen, die sich zu der Zeit, da er nur Großfürst gewesen war, entsetzt über seine Albernheiten gezeigt hatten, legten nun katzbuckelnde Begeisterung an den Tag: Nach siebenunddreißig Jahren wurde Russland endlich wieder von einem Mann regiert! Als ob alle Übel Russlands auf weibliche Launen zurückzuführen wären.
     
    Es gab keine großartigen Feiern, keine Krönung in der Kathedrale von Moskau. Im Senat verkündete der neue Kaiser des russischen Reichs, ihm zur Seite die Schuwalows, seine Befehle. Von nun an sollte kein Adeliger mehr gezwungen werden, dem Zaren zu dienen. Kein Soldat sollte mehr mit der Knute gepeitscht werden. Kritik am Kaiser war kein Verbrechen mehr, das angezeigt und geahndet werden musste. Die Geheimkanzlei wurde abgeschafft. Der gute und milde Zar, der wahre Vater Russlands, hatte es nicht nötig, seine Kinder bespitzeln und überwachen zu lassen.
    Kein Tag verging ohne Ankündigung von Reformen, ohne Erlasse und Ukasse und kaiserliche Anordnungen.
    Dem früheren Favoriten Iwan Schuwalow, der nicht länger bloß Kurator der Moskauer Universität sein wollte, wurden die in Sankt Petersburg stationierten Einheiten der Infanterie, der Marine und der Artillerie unterstellt. Zwei seiner Onkel wurden zu Feldmarschällen ernannt, obwohl keiner der beiden je Pulverdampf geschnuppert oder einen Säbel blankgezogen hatte. Die meisten der Damen von Elisabeths Gefolge quittierten den Hofdienst und begaben sich auf ihre

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