Der Winterpalast
die hübscheste der kaiserlichen Hofdamen zu schwängern, »damit dieser barbarischen Rasse ein bisschen gutes Blut zugeführt wird«.
Eine Motte, dachte ich, die vom Licht angezogen wird, die nur
die flackernde Kerze sieht und blind ist für alles andere. So war unser Zar. Und er würde uns alle mit ins Verderben reißen, wenn niemand etwas dagegen tat.
Katharina schaute von ihren Büchern und Papieren auf und hörte mir zu. Ihr Bauch war jetzt schon ziemlich dick, aber die weiten Falten ihres Trauergewands verbargen ihr gefährliches Geheimnis, und sie achtete im Übrigen streng darauf, sich möglichst wenig neugierigen Blicken auszusetzen: Unter dem Vorwand, sie leide an Migräne, konnte sie sich aus der Gesellschaft zurückziehen und ihre Zeit allein mit Bijou in einem abgedunkelten Zimmer ihrer Wohnung zubringen.
»Denkt er überhaupt noch an mich, Warenka?«
»Ich habe gehört, dass er Ihre Trauer um die Kaiserin ›reines Theater‹ nennt. Glaubt meine Frau im Ernst , fragt er, irgendjemand fällt darauf herein? Wie lange will sie noch wie eine hässliche schwarze Krähe ihre Tage in der Kapelle zubringen? «
»Lachen die Leute, wenn er so über mich redet?«
»Einige schon.«
In Wirklichkeit waren es mehr als bloß einige, aber das sagte ich nicht.
Die Schuwalows warfen ihre Netze weit aus. Ihre Botschaft war auch zu uns gedrungen: Wer zu uns kommt, wird belohnt werden. Sobald klar wurde, dass Peter nicht vorhatte, seine Frau in irgendeiner Sache um Rat zu fragen, begannen diejenigen, die erklärt hatten, sie stünden auf Katharinas Seite, zu schwanken.
Im neuen Winterpalast runzelten die Höflinge angestrengt die Stirn, wenn im Gespräch Katharinas Name fiel, als ob sie tief in ihrem Gedächtnis graben müssten, um sich ihrer zu erinnern. Die Frau des Kaisers? , hörte ich sie flüstern. Er will nichts mehr von ihr wissen. Sie hat sich verkrochen. Was wird aus ihr werden? Wird er sie auf irgendein fernes Landgut verbannen? Oder sie ins Kloster stecken?
Sie ist krank, hörte ich, abgeschoben, kaum jemand besucht sie.
Ihre Kümmernisse wogen nicht viel. Und ihre Freunde auch nicht. Was konnten sie zu ihrer Verteidigung vorbringen? Dass sie nur aus lauter Verzweiflung einen Fehler nach dem anderen gemacht hatte?
War das alles?
Zum zweiten Mal dankte ich Gott, dass es die Orlows gab.
Die Garderegimenter, versicherten Grigori und Alexej, waren dem Kaiser nicht wohlgesonnen. Es erfüllte sie jedes Mal mit Groll, wenn er in der blauen Uniform eines preußischen Obersts statt im grünen Rock des Preobraschenski-Regiments in der Öffentlichkeit auftrat und statt des russischen Sankt-Andreas-Ordens stolz den Schwarzen-Adler-Orden, den ihm der König von Preußen verliehen hatte, an seine Brust heftete.
»Unsere Stunde wird kommen, Warwara Nikolajewna. Sobald das Kind auf der Welt und Katinka wieder bei Kräften ist.«
Die Zeit der Orlows, so nannte ich in Gedanken diese gefährliche Phase fieberhafter Vorbereitungen, in der Grigori und Alexej umherstreiften und Verbündete warben, mit Versprechungen lockten, drohten, Zögernde beschwatzten oder mit ihnen feilschten, während Iwan, Fjodor und Wladimir in dem großen Haus in der Millionnajastraße auf Befehle warteten.
Die fünf Orlow-Brüder hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Sie standen wie ein Mann hinter Katharina, die ein Kind von Grigori erwartete.
Er und Alexej kümmerten sich nicht darum, ob sie beobachtet wurden. Wenn sie in den provisorischen Palast kamen, der sich zusehends leerte, dröhnte der Boden unter ihren Schritten. Jeden Abend konnten sie neue Fortschritte melden: Dieser oder jener unzufriedene Offizier, dieser oder jene Spross einer einflussreichen Adelsfamilie hatte Katharina seine Unterstützung zugesagt. Wenn Katharinas Stimme zaghaft klang, wenn sie stockte, wenn ihre Hände zu lang auf der Wölbung ihres Leibs liegen blieben, warfen die Brüder einander verschwörerische Blicke zu und locker
ten die Stimmung auf, indem sie einen kleinen heiteren Sketch vorführten, etwa Der Orang-Utan und sein preußischer Herr . Es waren einfach nur harmlose Albernheiten, die nichts weiter zu bedeuten hatten, fand ich, aber sie reizten doch Katharina zum Lachen.
»Wir werden ihn zwingen, vor Ihnen niederzuknien … ihm eine Lektion erteilen, die er nicht vergessen wird.«
Auch ich musste kichern, wenn Grigori Orlow mit Peters schriller Stimme zeterte und wild mit den Armen fuchtelte oder wenn er im preußischen Stechschritt
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