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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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nichts half, drängte ich sie, sich auf den leeren Korridoren etwas Bewegung zu verschaffen.
    Grigori Orlow erwartete sie bereits in ihrer Suite, wenn wir von unserem Spaziergang zurückkehrten. »Arme Katinka«, murmelte er und nahm sie auf den Arm, als wäre sie leicht wie eine Feder.
    Ich wartete, bis sich die Türen des Schlafzimmers hinter ihnen schlossen, dann ging ich.
     
    In der ersten Aprilwoche kam der Kaiser aller Russen zu einer seiner berühmten Inspektionen in die Kleiderkammer des Palasts.
Er trug die blaue preußische Uniform. Das Fräulein hatte sich bei ihm eingehängt. Ihre schwarzen Augen musterten all die Kleider, die auf den Tischen ausgebreitet lagen. Man sah ihr an, dass sie im Kopf emsig rechnete.
    »Das alles hat ihr gehört?«, rief sie aus. An ihrem Finger blitzte ein in Weißgold gefasster blutroter Granat, Elisabeths Lieblingsring. Ihr Blick glitt über mich hinweg, als wäre ich Luft.
    Der Kaiser nahm seine Perücke ab. Die Kopfhaut unter seinem spärlichen Haar war wund vom dauernden Kratzen.
    »Ah, hier sind Sie also, Warwara«, sagte er. »Ich habe mich schon gefragt, was aus Ihnen geworden ist. Behandelt man Sie gut?«
    Er setzte die Perücke wieder auf und rückte sie vor dem Spiegel zurecht.
    »Ja, Hoheit«, antwortete ich. »Ich kann mich nicht beklagen.«
    »Gut«, sagte er. »Dann zeigen Sie mir jetzt die Bücher.«
    Die Kammerfrau, die die kaiserliche Garderobe unter sich hatte, reichte mir das Hauptbuch und trat einen Schritt zurück, schwer gekränkt, weil der Kaiser sie so einfach übersah. Die Näherinnen saßen über ihre Arbeit gebeugt und warfen nur verstohlene Blicke in Richtung des Zaren. Ich hörte sie im Geist schon jetzt von ihm schwärmen. Was für ein gutaussehender Mann, so elegant, eine glänzende Erscheinung, und so freundlich!
    Er schlug die Kladde aufs Geratewohl auf und fuhr mit dem Finger an Listen von Abendkleidern, Morgenröcken, Kostümen für Maskeraden entlang.
    Das Fräulein gähnte, aber Peter beachtete sie nicht. Er leckte seinen Daumen und blätterte. Manchmal blieb sein Blick an einer Stelle hängen, und ich fragte mich, was seine Aufmerksamkeit erregt haben mochte. Die Beschreibung eines Stücks? Der Preis, der dafür bezahlt worden war? Die Namen derer, denen Elisabeth dieses oder jenes Kleidungsstück geschenkt hatte?
    Er klappte das Buch stirnrunzelnd zu.
    »Das ist ja alles auf Russisch geschrieben«, sagte er vorwurfsvoll.
    Ich schwieg. Würde er uns befehlen, die Bücher künftig in deutscher oder französischer Sprache zu führen?
    Nein. Er reichte mir ein Bündel Papiere, lauter Briefe und Bittschriften offenbar. In einem der Schreiben beklagte sich ein Mr. Porter, Tuchhändler in Sankt Petersburg, dass eine Rechnung nicht bezahlt worden war. Eine Zofe bat darum, man möge ihr ein Seidenhemd aushändigen, das die Kaiserin ihr vor ihrem Tod versprochen hatte.
    Ich sagte, ich würde mich um die Angelegenheiten kümmern.
    »Gut.« Peter grinste breit. Ich sah, wie das Fräulein sich vorbeugte und mit spitzen Fingern etwas von seiner Schulter klaubte. Ein Haar? Ein loses Fädchen?
    Die Inspektion war beendet.
    Ich wartete, dass er ging, aber er wandte sich noch einmal mir zu.
    »Sie waren früher einmal auf meiner Seite«, sagte er leise. Seine Stimme hatte plötzlich einen jungenhaften Ton, der mich an die Zeit erinnerte, als ich ihm immer vorgelesen hatte.
    »Ich stehe immer noch treu ergeben auf Ihrer Seite, Majestät«, sagte ich mit fester Stimme.
    Er musterte mich scharf, als dächte er über meine Antwort nach, aber er ging nicht darauf ein, sondern wechselte das Thema: »Ich höre, dass die Großfürstin immer noch in brieflichem Kontakt mit Graf Poniatowski steht. Stimmt das, Warwara?«
    Ich bestritt es wortreich, aber er wedelte nur verächtlich mit der Hand. Dann wurden seine Augen schmal, und mir stockte das Herz, als ich seine Stimme hörte. Sie klang jetzt plötzlich scharf und schneidend.
    »Manche halten mich für einen Dummkopf, Warwara. Aber man ist besser dran, wenn man es mit einem ehrlichen Dummkopf zu tun hat als mit großen Genies. Meine Frau wird dich auspressen wie eine Orange und die leere Schale wegwerfen.«
     
    Es war ihre dritte Geburt, und alles verlief ohne Schwierigkeiten. »Ich habe jetzt Übung, Warenka«, murmelte Katharina, als die Hebamme den Säugling wickelte.
    Am Donnerstag, dem 11. April, hielt ich Grigori Orlows neugeborenen Sohn in meinen Armen. Er hatte ein knallrotes Gesicht, nuckelte an meinem

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