Der Winterpalast
zugesichert hatte, dass Katharina lediglich als Regentin herrschen wolle, hatte sich schließlich auch der Verschwörung angeschlossen.
Meine Tochter verbrachte jeden Montagnachmittag im Winterpalast, wo sie mit dem Großfürsten spielte. Mascha oder ich brachten sie hin, und die Kindermädchen ließen uns ohne Weiteres ein.
Darja genoss diese Stunden. Es wurden Scharaden veranstaltet, es gab ein großes Schaukelpferd, Kreisel und allerlei anderes Spielzeug. Sie und Paul spielten Fangen oder Verstecken auf den Korridoren und in den leeren Räumen rund um das Kinderzimmer. Manchmal bat Paul sie, ihm etwas vorzulesen, manchmal brachte sie ihm Tanzschritte bei, die sie in ihrem Unterricht gelernt hatte.
»Hast du dem Großfürsten gesagt, dass seine Maman ihn sehr vermisst?«, fragte ich sie manchmal.
Ja, aber er hatte nur mit gleichgültigem Achselzucken oder verlegenem Schweigen reagiert.
Es überraschte mich nicht.
Solche Versicherungen allein nutzen nichts, dachte ich. Paul brauchte Zeit, Zeit, die er mit seiner Mutter verbrachte, in ruhiger Muße vertrödelte Zeit des Zusammenseins. Heilende Zeit.
Aber das musste ich Katharina nicht sagen, sie wusste es selbst nur allzu gut.
In der Zeit der weißen Nächte, im Juni, machte sich eine sonderbare Unruhe in der Stadt breit. Vom Newakai, der noch um Mitternacht im Sonnenlicht lag, hörte man das Knurren und Kläffen und Jaulen streunender Hunde, die dort ihre Kämpfe austrugen. Auf der Großen Perspektivstraße hing andauernd der Geruch von gebratenem Speck in der Luft, vermischt mit dem Duft von frisch gebackenem Brot und Malz.
In der Kleiderkammer wurden die Stücke aus Elisabeths Garderobe, die nicht das Fräulein oder die Hofdamen für sich beansprucht hatten, aufgetrennt, sodass man die wiederverwendbaren Teile verkaufen konnte. Die Modehäuser von Sankt Petersburg sicherten sich die besten Partien Stoff, Besatzbänder und Spitzen. Was nicht verkauft wurde, verschwand, um an den Ständen des Tatarenmarkts wieder aufzutauchen, und so kam es, dass kaiserliche Stoffrestchen in Elisabeths geliebtem Rosa schon bald die Sonntagskleider von gewöhnlichen Bürgersfrauen schmückten.
Im provisorischen Palast begannen Katharinas Dienstboten mit dem Packen für den Umzug in die Sommerfrische. Dieses Jahr allerdings sollte sie nicht wie üblich nach Oranienbaum fahren. Der Kaiser hatte ihr mitteilen lassen, dass er mit dem Fräulein und seinem Sohn dort ungestört sein wollte – wenn die Großfürstin der Hitze der Stadt entfliehen wollte, so könne sie in Monplaisir, dem alten Pavillon auf dem Gelände von Schloss Peterhof, wohnen. Und im August, wenn der Hof wieder nach Sankt Petersburg zurückkehrte, sollte Katharina ihre fernab von der kaiserlichen Suite gelegenen vier Zimmer im Winterpalast beziehen.
Der provisorische Palast war lange genug ein Schandfleck in der Stadt gewesen. Er sollte abgerissen werden.
In unserer Wohnung hatte Mascha bereits Igors Porträt sorgsam in Tücher eingehüllt und Darjas altes Spielzeug sowie die Kleider, aus denen sie herausgewachsen war, in Kisten verpackt. Ich hatte vorgeschlagen, die Sachen den Dienstmädchen zu schenken, aber Mascha wollte davon nichts hören. »Man weiß nie, ob man es nicht doch noch mal gebrauchen kann«, murmelte sie und wich meinem Blick aus. Im Übrigen gebe es im Winterpalast Platz genug, sie habe gehört, dass dort sogar die Zofen des Fräuleins Unterkünfte bewohnten, die doppelt so groß seien wie unsere.
»Wir ziehen doch in den Winterpalast, oder?«, fragte sie.
Ich antwortete nicht.
Ich wollte das Schicksal nicht herausfordern.
Die Palastrevolution war wie alle Machtspiele bei Hof riskant.
Wie würde es ausgehen, fragte ich mich oft, wenn ich meiner Tochter beim Unterricht oder beim Spielen zusah. In den letzten Monaten hatte ihre körperliche Entwicklung große Fortschritte gemacht, und doch kam sie mir oft so weich und leicht formbar vor, als wäre sie noch ein kleines Kind. Auf meinem Nachtkästchen lag ein wunderschön gebundenes Märchenbuch mit golden geprägtem Titel, ein Geschenk von Graf Poniatowski. Er hoffte immer auf Nachrichten, wären sie auch noch so trivial, und er fragte, ob ich Sophie an sein Versprechen, wieder zu ihr zu kommen, erinnerte. Manche Träume , schrieb er, kann man nicht aufgeben, ohne einen Teil seiner Seele zu verlieren.
Mich fröstelte, und ich verscheuchte den Gedanken an die Zukunft.
Ich wollte nicht daran denken, dass meiner Tochter
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