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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Schinken und der geräucherte Stör. Jetzt, da die Frau seines Leutnants für zwei essen musste, so stand auf der beiliegenden Karte zu lesen, sollte sie von allem das Beste bekommen.
    Ich setzte mich in den Schaukelstuhl und wiegte mich sanft. Er war glänzend schwarz lackiert mit roten und goldenen Verzierungen und stammte, wie Igor behauptete, aus Schweden.
    Unser Sohn, so hatte er entschieden, sollte nach Igors Vater Dmitri heißen. Unser zweiter Sohn würde meinem Vater zu Ehren den Namen Nikolai tragen.
    Die dunklen Novembertage waren bitterkalt, bei jedem Atemzug spürte man den ätzenden Rauch, der in der Luft lag. Der Wind fuhr durch die Krone des Kirschbaums vor meinem Schlafzimmerfenster. Schwärme von Spatzen ließen sich auf den kahlen Zweigen nieder und stoben gleich wieder mit schwirrenden Flügeln davon. »Mach das Fenster auf«, bat ich Mascha, aber sie murmelte nur etwas von Zugluft und Qualm und dem bösen Blick und rührte sich nicht vom Fleck.
     
    »Dewuschka« , sagte die Hebamme. »Ein Mädchen.«
    Ausgepresst aus der Tiefe meiner Schmerzen lag sie vor mir, beschmiert mit meinem Blut, und schrie. Gesund und voller Leben.
    Mein Kind, dachte ich und machte mich auf Igors Enttäuschung gefasst.
    Ich hörte einen Schlitten vorfahren. Pferde wieherten. Gellende Pfiffe, Männerstimmen krakeelten und lachten.
    Igors Kameraden waren gekommen, um ihn abzuholen. Nach altem Brauch würden sie ihn in der banja fröhlich verspotten und
mit Birkenzweigen schlagen, bis kleine Blutströpfchen auf seiner roten Haut sich mit seinem Schweiß mischten: So musste ein Mann, der keinen erstgeborenen Sohn zustande gebracht hatte, den Badehausdämonen Buße leisten.
     
    Am Morgen nach der Geburt meiner Tochter hatte ich tief und traumlos geschlafen. Leises Gemurmel weckte mich. Ich sah Igor am Fenster stehen, Darja auf dem Arm. Ich war noch sehr schwach, aber ich schaffte es, mich, auf die Ellbogen gestützt, etwas aufzurichten.
    »Du hast keinen kleinen Soldaten bekommen«, sagte ich.
    Er drehte sich zu mir um. »Aber sie wird leben, nicht?« Seine Stimme zitterte leicht vor staunender Bewunderung. Ich streckte meine Arme aus, und Igor reichte mir das Kind, ganz behutsam wie ein zerbrechliches Stück Porzellan.
    »Ja«, versprach ich, »sie wird leben.«
    Durch die geschlossene Tür hörte ich das Klappern von Geschirr. Ich roch süßes Brot, und mein Magen begann zu knurren. Draußen auf der Straße kläfften Hunde.
    Darja , so hatte Igor sie genannt. Darenka .
    Ich hatte nichts dagegen. Im Polnischen lässt der Name meiner Tochter an ein großartiges Geschenk denken, eine Kostbarkeit, wie man sie einer Königin darbringt.
    Darenka rümpfte ihr winziges Näschen und nieste. »Meine kleine Prinzessin«, flüsterte Igor zärtlich, und ich dachte, dass ich ihn vielleicht doch noch nicht so bis ins Letzte kannte, wie ich immer geglaubt hatte.
     
    In den langsam verrinnenden Tagen, den langen Abenden danach hielt ich meine Tochter in den Armen und lauschte ihrem Atem. Sie war vollkommen, dachte ich, so frisch, so makellos. Ich berührte die Fältchen der Haut, die ihre Augen verbarg, wenn sie weinte. Ich leckte die winzigen Handflächen mit dem rätselhaften Gewirr von Linien, fuhr mit der Zungenspitze über die Finger
chen, küsste ihre Fußsohlen, die so weich und glatt waren wie ihre rosigen Wangen.
    Staunend fühlte ich, wie exakt ihr kleiner warmer Körper in meinen passte, wenn wir zusammen in unserem großen Himmelbett lagen, auf dem gestärkten weißen Laken, das den Duft des Windes zu verströmen schien. Wie sie weit ihr Mäulchen öffnete, wenn sie hungrig meine Brust suchte. Ich sah ihr entzücktes Erschauern, wenn ich meine Brustwarze, nass von Milch, an ihren zahnlosen Mund führte. Mein ganzer Körper erbebte vor Liebe, wenn sie ihre Kieferleisten schloss, gerade so weit, dass es nicht schmerzte, und zu saugen begann. Ich war nicht länger allein. Ich war nicht länger nur Beobachterin meines eigenen Lebens.
    Darja. Darenka .
    Mascha reagierte mit Befremden, als ich ihr sagte, dass ich keine Amme engagieren wollte. Ich hörte, wie sie Igor warnte, ich sei zu schwach, ich würde meine Gesundheit ruinieren, wenn ich mein Kind selbst stillte, er müsse mich zur Vernunft bringen. Sie hatte bereits mehrere Kandidatinnen ins Auge gefasst, die sie ihm als »gute, kräftige Mädchen vom Land« anpries. »Gehen Sie zu Ihrer Frau«, beschwor sie ihn, »sprechen Sie ein Machtwort.«
    Mit geschlossenen Augen, Darja

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