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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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in meinen Armen, wartete ich darauf, dass die Tür aufging und Igor hereinkam, auf das leise Geräusch seiner zögernden Schritte auf dem weichen Teppich, auf den leichten Stallgeruch, der immer in seinen Kleidern hing, und den Duft von Schnupftabak.
    Er redete auf mich ein.
    »Du brauchst Ruhe, kison'ka , du musst wieder zu Kräften kommen, du musst an deine Gesundheit denken.«
    Ich ließ ihn reden. Er beugte sich über Darenka, die eben am Einschlafen war. Seine Worte wurden immer leiser, bis sie ganz verebbten, und ich wusste, dass er mir meinen Willen lassen würde.
    Allein mit Darenka, die an meiner Brust nuckelte, versuchte ich, mir die Gesichter meiner Eltern in Erinnerung zu rufen. Nicht,
wie sie ausgesehen hatten, als sie in ihren Särgen lagen, wachsig und eingefallen, sondern ihre Gesichter im Leben, in den kostbaren Momenten des Alltags. Ich sah die kleine Kammer in Warschau vor mir, wo ich an meine Mutter geschmiegt dasaß und ihr dabei zuschaute, wie sie den Saum eines Kleids nähte. Ich sah die Hoffnung in ihrem Gesicht leuchten an dem Tag, als wir in Sankt Petersburg ankamen, und ihr trauriges Lächeln, als sie mir das Kettchen mit dem Medaillon der Jungfrau Maria umhängte. Ich sah meinen Vater, der einen Apfel schälte, so geschickt, dass die Schale ein einziges langes Band bildete, und ihn dann ihn dicke Schnitze zerteilte, die – obwohl es mitten im Winter war – nach goldener Herbstsonne dufteten. Ich dachte daran, wie glücklich sie über Darenkas Geburt gewesen wären, und nahm mir vor, zusammen mit meiner Tochter zu ihren Gräbern zu gehen und für ihre Seelen zu beten.
    Die Zeit damals meinte es gut mit uns. Ich konnte die Vorahnung von Lachen in ihrem Gesicht sehen, wenn ich ins bereits kitzlige Öhrchen meiner Tochter ihre erste Geschichte murmelte, die Geschichte von ihrer Geburt: Zwei Tage lag ich in den Wehen. Man musste dich zuerst in mir umdrehen, bevor ich dich aus meinem Bauch herauspressen konnte. Der Tod lag auf der Lauer, mein Schätzchen, aber wir entwischten ihm. Ich bin deine Mutter, und du bist meine Tochter. Bei mir bist du sicher. Ich werde nie zulassen, dass jemand dir etwas zuleide tut. Ich werde gut auf dich achtgeben und dich nie alleine lassen, solange du mich brauchst.
    »Sie können keine Kinder mehr bekommen«, hatte die Hebamme gesagt.
    Ich hatte die Worte gehört, aber ihre Bedeutung war noch nicht richtig zu mir vorgedrungen.
     
    Igors Regiment schenkte uns eine wunderschön geschnitzte Wiege. Darjas Taufpaten waren Oberst Sinowjew und Madame Tschoglokowas älteste Tochter, Letztere auf die Bitte Katharinas hin,
der die Kaiserin niemals erlaubt hätte, selbst die Patenschaft zu übernehmen.
    Mit Maschas Hilfe stellte ich die Taufgeschenke auf einem mit weißem Damast bedeckten Tisch im Salon auf, damit unsere Gäste sie bewundern konnten: ein goldenes Kreuz vom Paten, ein Becher und ein Dutzend silberne Löffel in einem Elfenbeinkästchen von der Patin. Katharina hatte ein Stück aus der Werkstatt von Monsieur Bernardi geschickt, ein Rosenkranz-Armband mit schwarzen Perlen und der eingravierten Widmung: Für Darja Igorewna, deren Zukunft mir immer am Herzen liegen wird .
    An Igors Seite ließ ich die Besuche, die ins Haus kamen, um Glück zu wünschen, wie es Brauch war, über mich ergehen, sonderbar milde gestimmt durch all die gerührte Bewunderung, die meiner Tochter zuteilwurde. Ich lächelte freundlich, wenn die Leute sich über die Wiege beugten und Ähnlichkeiten feststellten: Meine Nase, aber Igors dunkle Augen. Von ihm die kräftig krähende Stimme, von mir das Lächeln.
    Darja Igorewna.
    Möge sie nie von denen getrennt werden, die sie lieben.
    Wohlergehen und Gesundheit ein Leben lang.
    Ich wischte mir Tränen von den Wangen.
    »Möge Gott alle guten Wünsche in Erfüllung gehen lassen«, flüsterte ich.
    Alle Türscharniere in unserer Wohnung in der Apothekergasse waren geölt worden, damit sie nicht quietschten, die Dienstboten mussten Filzschuhe tragen und leise sprechen. Die Wiege stand neben meinem Bett, aber es gab auch schon ein Kinderzimmer mit kanariengelb gestrichenen Wänden und einer Truhe aus Zedernholz. Der Raum roch nach Firnis und Farbe. Meine Tochter besaß so viele Batisthemdchen, dass sie für fünf Kinder ausgereicht hätten, ein halbes Dutzend Schals, eine Silberfuchsdecke, damit sie es schön warm hatte im Winter, und eine teure Porzellanpuppe mit einer Haube aus Samt, ein Geschenk von ihrem Vater.
    Einmal sah ich im

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