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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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es, wenn die Schienbeine zu kurz waren, wenn Winkel der Gelenke nicht zu den Proportionen des Körpers passten, aber nur das unvergleichlich scharfe Auge Igors erkannte, welches Rennpferd den Anforderungen des Rennens gewachsen war, welcher Mangel auf der Rennbahn fatale Folgen haben würde.
    Sie pfiffen und lärmten auf der Straße vor unserem Haus. »Kommen Sie mit, Igor Dmitrijewitsch«, schrien sie, »beeilen Sie sich.«
    Ein Mann hat keinen Grund zur Verbitterung, dachte ich, wenn ich allein in unserem Wohnzimmer eine Patience legte und in die bewegten Gesichter der Könige, Damen und Buben starrte.
    Die Uhr schlug Mitternacht. Ich schob die Karten weg und stand auf. Auf dem Gang hörte ich huschende Schritte. In der Küche schwatzten die Dienstboten über uns. Sie ergriffen Partei, diskutierten, wer schuld war.
    Ich trat ans Fenster und öffnete die Läden. Die Apothekergasse war menschenleer, eine dicke Schicht Schnee schimmerte silbern im Mondlicht.
    Am nächsten Morgen ließ ich mich mit dem Schlitten zur Großen Perspektivstraße fahren. In der französischen Parfümerie kaufte ich eau de fraîcheur , das süß nach Zimt und Nelken duftete. In einem anderen Geschäft erstand ich ein Stück Musselin und rote Seidenstrümpfe, bestickt mit Jasminblüten.
    Man muss immer ein paar Trümpfe in der Hinterhand behalten.
    Am Nachmittag, als Igor vom Dienst nach Hause kam, ließ ich Mascha Tee und Wodka mit Kümmel bringen. Ich schüttete mir Wodka in den Tee und trank ihn, damit meine Stimme sanft wurde.
    Ich sprach vom Januarfrost, der Eisblumen auf die Fensterscheiben malte, von den Fuchsspuren an den Ufern der Newa.
    Ich schloss die Fensterläden und zog die Vorhänge zu. Ich befreite mein Haar von den Kämmen, die es bändigten.
    Ich lachte.
    Du hast deine Welt , dachte ich, ich will die meine haben.
    Ich nahm Igors Hand, und ich stellte mir vor, was ein fremder Beobachter sehen würde: einen Mann und seine liebende Frau, innig vereint am Ende eines Tages.
    In dieser Nacht parfümierte ich mich, zog mein türkisfarbenes Nachthemd an, das so gut zu meiner Augenfarbe passte, und verführte ihn.
    Was ich wollte, war ein Kind. »Nur Mütter von gesunden Kindern dürfen sich der Großfürstin nähern«, hatte die Kaiserin verfügt.

Vier
    1749-1750
    I m Januar 1749 wurde in den Salons von Sankt Petersburg eifrig darüber spekuliert, welcher von den Favoriten der Kaiserin die Schlacht um einen Platz in ihrem Bett für sich entscheiden würde. Eine Zeit lang sah man Elisabeth häufig in Gesellschaft des Schauspielers, der im Russischen Theater den Sussanin gespielt hatte. Dann bezauberte sie ein Kosake aus Kiew, der schnell zum Leutnant befördert wurde, mit seinem »Teufelstanz«. Ihm folgte Nikita Beketow, ein Chorleiter, der als Protegé des Kanzlers galt. Seine Vorherrschaft schien gesichert, doch dann unterlief ihm ein dummer Fehler: Er nahm ein Geschenk der Gräfin Schuwalowa an, ein Töpfchen mit einer Creme, von der man angeblich einen wunderbar glatten Teint bekam. Als in seinem Gesicht lauter hässliche rote Flecken aufblühten, machte die Gräfin der Kaiserin Angst, es könnten die Pocken sein. Beketow musste den Hof verlassen.
    Für viel Gesprächsstoff sorgte die Tatsache, dass jetzt Gräfin Schuwalowa der Herrscherin im Schlafzimmer die Fußsohlen massierte und ihr dabei den neuesten Klatsch erzählte. »Könnte es sein, dass ihr hübscher Sohn mit der Römernase etwas damit zu tun hat?«, hörte ich meinen Mann sarkastisch fragen. Er meinte Iwan Iwanowitsch, den jüngsten Sohn der Gräfin, dessen Vater, Marschall Schuwalow, einst einer von Elisabeths Liebhabern gewesen war. Es gab noch etliche weitere Schuwalows am Hof; einer war Generalstaatsanwalt, zwei andere waren in der Geheimkanzlei beschäftigt. »Du brauchst bloß den Deckel von irgendeiner Kiste hochzuheben, und prompt springt ein Schuwalow heraus, der wittert, ob es was zu holen gibt«, sagte Igor.
    Man redete von Iwan Schuwalows jugendlichem Charme, den dunklen, weichen Locken über seiner Stirn, von dem zerstreuten Lächeln seiner sinnlichen Lippen. »Achtzehn Jahre jünger als die Kaiserin. Immer ein Buch in der Hand. Er hat ein Stück geschrieben. Er will den Palast umbauen lassen. Er korrespondiert mit Voltaire! Er hat dem Großfürsten einen schneeweißen Falken geschenkt.« Rufe des Erstaunens hallten durch die Salons von Sankt Petersburg, begleitet von unsicherem Lachen.
     
    Der Soldat ist wie ein Kind , schrieb Katharina. Er will im

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