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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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grüßte noch einmal: »Guten Tag, Warwara Nikolajewna.« Der Mund mit den klaffenden Zahnlücken war zu einer Grimasse verzogen.
    Ich schritt einfach an ihm vorbei.
    Mascha hastete mir keuchend nach über die Moikabrücke. Sie zupfte mich am Ärmel, aber ich blieb nicht stehen, ich drehte mich nicht einmal um, ganz beglückt von dem entschlossenen Klacken meiner Absätze auf dem Pflaster.
    Ich hörte, wie sich ein Kutschenschlag öffnete und schloss, ich hörte Hufgetrappel auf Pflastersteinen, das Kläffen eines streu
nenden Hundes, der weggescheucht wurde. Als ich vor unserem Hause ankam, war der Kanzler bereits da. Mascha zögerte verunsichert, aber ich sagte ihr, sie sollte nur gehen, ich käme gleich nach.
    Er erkundigte sich höflich nach meinem und Igors Befinden.
    »Danke, es geht uns gut«, sagte ich kühl.
    In der Sommerhitze stieg von der Moika ein Geruch nach Fisch und Moder auf. Plötzlich musste ich daran denken, wie ich, das Kind, das ich damals war, mich gefühlt hatte in jenem ersten Jahr am Hof, wie einsam ich gewesen war, wie sehr ich darunter gelitten hatte. »Ich habe dir nicht wehgetan, oder?«, hatte Bestuschew damals gefragt. Ich kämpfte gegen die Übelkeit an, die über mich kam.
    Die listigen Augen meines einstigen Lehrmeisters musterten mich. Er sah mir an, wie tief ich ihn verabscheute. Er lächelte dünn, dann nickte er ernst, als wäre ich immer noch ein Kind, das unter seiner Fuchtel stand.
    Es ist nicht vorbei. Du kannst es dir nicht leisten, mich zu hassen , sagte dieser Blick. Ich wusste, dass er recht hatte, aber ich wollte nicht klein beigeben.
    »Richten Sie der Großfürstin meine aufrichtige Hochachtung aus«, sagte er.
    Ich war überrascht, obwohl ich es eigentlich hätte besser wissen sollen. Das Spiel der Macht verlangte eine schamlose Kehrtwendung, neue Bündnisse mussten geschlossen werden: Die Schuwalows umwarben den Thronprinzen, und so blieb Bestuschew nichts anderes übrig, als sich an die Großfürstin zu halten.
    »Sie sprechen von der kleinen Hausfrau mit dem spitzigen Kinn?«, fragte ich. Ich konnte es mir nicht verkneifen.
    »Ich hatte unrecht, das gebe ich gerne zu.«
    »Gerne?«, fragte ich herausfordernd.
    Der Kanzler schenkte mir ein nachsichtiges Lächeln. Die kleine Genugtuung kannst du haben , schien er zu sagen. Du hast sie dir verdient.
    »Sicher, ohne jeden Groll.«
    »Aber ich habe gar keinen Kontakt mehr zur Großfürstin«, sagte ich. »Wie könnte ich ihr etwas ausrichten?«
    »Die Maske der Ahnungslosigkeit passt nicht zu Ihnen, Warwara Nikolajewna. Schmuck steht Ihnen besser.«
    Ich hörte den warnenden Unterton und erstarrte. Ich hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der Kanzler von den Briefen wusste, die der Juwelier Bernardi schmuggelte, und dass er nur deswegen nichts dagegen unternahm, weil es sich in so unsicheren Zeiten empfahl, für alle Fälle vorzusorgen. Aber obwohl ich Katharinas Siegel immer genau geprüft hatte, war mir nie etwas Verdächtiges aufgefallen. Was war mir wohl sonst noch alles entgangen?
    »Ich werde es der Großfürstin mitteilen, sobald ich Gelegenheit dazu habe«, murmelte ich. Ein Fuhrwerk, schwer beladen mit Birkenstämmen, rumpelte vorbei. Ein Händler legte auf einer Kiste, über die er eine schmutzige Decke gebreitet hatte, zu langen Zöpfen geflochtene Zwiebeln aus.
    »Gut«, sagte der Kanzler. Ich öffnete die Haustür. »Das genügt mir schon. Fürs Erste.«
     
    Am 25. November 1749, dem Jahrestag von Elisabeths Thronbesteigung, wurde Iwan Iwanowitsch Schuwalow zum Kammerherrn erhoben und war damit auch ganz offiziell der Favorit der Kaiserin.
    Die beiden hatten nähere Bekanntschaft geschlossen, als Elisabeth ihn zu einer gemeinsamen Pilgerfahrt eingeladen hatte. In den Salons von Sankt Petersburg war der Ausdruck »miteinander beten« zu einem Synonym für den Geschlechtsakt geworden.
    Die Schuwalows hatten gewonnen, so redeten die Leute, aber der Erfolg ist ein vergängliches Ding. Iwan der Fromme würde es nicht lange machen – selbst die inbrünstigsten Gebete nutzen sich ab mit der Zeit.
    Jeden Morgen, wenn ich aufwachte, legte ich die Hand auf mei
nen Bauch, um die lebhaften Tritte der kleinen Füße zu spüren. Aus der Küche wehten die Düfte von Kascha und warmem Brot. Mascha machte mir Omelettes mit Kaviar. Oberst Sinowjew, der Kommandeur von Igors Regiment, hatte einen Korb mit Delikatessen geschickt. Der Honig, mit dem ich meinen Tee süßte, kam von seinem Landgut, ebenso der

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