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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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eher dafür, dass der Bau beschlossene Sache ist, meinen Sie nicht?«
    Seine Augen wurden schmal. Sein Fuß tappte nervös auf den Boden.
    »Vielleicht ist das ja das Geheimnis von Iwan Iwanowitschs Erfolg«, fuhr ich fort. »Er findet sich nicht so leicht mit den gegebenen Verhältnissen ab, er hat Mut. Er kann an eine Sache glauben, die andere erst gar nicht in Erwägung ziehen. Er schlägt Saiten an, von denen die meisten dachten, sie wären längst abgerissen.«
    Aus meinen Brüsten lief Milch. Ich dachte an Darjas Lippen, an ihre winzig kleine Hand, die meinen Finger gepackt hielt.
    »Ah, der Mut der Mutterschaft, Warwara Nikolajewna«, sagte der Kanzler leise. »Nicht unterzukriegen. Und immer wieder rührend. Trotzdem, Sie sollten die Tatsache nicht ganz aus dem Auge verlieren, dass Ihr Mann nicht unbeträchtliche Schulden hat. In so einer Lage tut man gut daran, sich Freunde zu machen, die einem unter die Arme –«
    Ich ließ ihn nicht ausreden.
    »Ich bin nicht wie Sie«, sagte ich und wandte mich ab. »Ich schließe keine Freundschaften nur deswegen, weil ich daraus Nutzen ziehen kann.«
    Ich ging zurück zu meinem Platz. Während ich wartete, dass sich der Vorhang hob, spielte ich mit meinem Fächer, auf dem Barken auf einem Fluss abgebildet waren. Igor neben mir lachte über etwas, was sein Sitznachbar gerade gesagt hatte.
    Ich tupfte ihm auf die Schulter, er drehte sich zu mir um.
    »Haben wir Schulden?«, fragte ich.
    »Lass das mein Problem sein«, antwortete er. Seine Fingerspitzen strichen über meine Hand. Sie fühlten sich kalt an.
     
    Am Neujahrstag 1750 saßen Igor und ich zusammen mit anderen Höflingen im Thronsaal, der mit glitzernden goldenen Sternen und raffinierten Gebinden mit Lilien aus den Gewächshäusern von Oranienbaum dekoriert war.
    Alle Anwesenden waren sich natürlich der Tatsache bewusst, dass sie auf offener Bühne agierten, und folglich waren die Gespräche, die geführt wurden, völlig uninteressant: Glück und Segen im neuen Jahr und, wie nicht anders zu erwarten, Lobeshymnen über Monsieur Rastrellis neueste Entwürfe für den Winterpalast. Igor war ziemlich schweigsam. »Zeitverschwendung«, knurrte er mürrisch. Die Zeit, die überall sonst ein so kostbares Gut war, zog sich hier wie zäher heißer Teer in die Länge.
    Ich widersprach ihm nicht und wies ihn auch nicht darauf hin, wie wichtig es war, hellwach alles zu beobachten, was im Saal vorging.
    Elisabeth saß auf dem Thron. Ihr eng anliegendes Satinkleid glitzerte vor Diamanten und war einfarbig cremeweiß – desto stärker kamen das Karmesinrot und Silber ihrer Schärpe zur Geltung. Ein goldfarbener Umhang, mit Hermelin gefüttert und mit doppelköpfigen Adlern bestickt, bedeckte die Schultern der Kaiserin.
    »Du hast eine Tochter, Warwara?«, fragte die Kaiserin, als ich ihr Glück und Segen in diesem neuen Jahr ihrer Regierung gewünscht hatte und ihr die Hand küsste. Wenn man sie aus der Nähe sah, schien die doppelte Schicht Schminke die Falten in ih
rem Gesicht und an ihrem Hals eher noch zu betonen als zu verdecken. Ihr Atem hatte eine faulige Note, gemildert durch Kirschlikör und Nelkenduft. An der Stelle, wo eigentlich Katharina und der Großfürst hätten sitzen sollen, machte sich der neue Kammerherr Iwan Schuwalow breit. »Ihre großfürstlichen Hoheiten sind eben gegangen«, hatte ich jemanden sagen hören – gerade so, als wäre das gar nichts Besonderes und als könnte jedermann nach freiem Belieben jederzeit den Thronsaal verlassen.
    »Ja, Majestät«, sagte ich, »eine Tochter.«
    Die Kaiserin starrte mich düster an, dann lächelte sie süffisant.
    »Dein Ehemann hat viel Geduld.«
    Ich hielt den Kopf gesenkt, Igor murmelte eine Antwort, irgendeine Beteuerung menschenunmöglicher Ergebenheit. Iwan Schuwalow, in roten Samt gekleidet, warf mir einen neugierigen Blick zu, als versuchte er sich zu erinnern, wo er mich schon einmal gesehen hatte. Die Miene des Kanzlers hinter ihm drückte tiefe Befriedigung aus, so als wäre gerade ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen.
    Ich ließ mir nichts davon anmerken, wie es mich enttäuschte, dass die Großfürstin nicht da war. Katharina hatte vor einiger Zeit die Nachricht erhalten, dass ihr Vater gestorben war. Nach acht Tagen hatte die Kaiserin ihr befohlen, nicht länger um ihn zu weinen und keine schwarzen Kleider mehr zu tragen. Eine Woche Trauerzeit, befand sie, müsse genügen, schließlich sei der Mann kein König gewesen. Trauer trägt

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