Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
Vom Netzwerk:
Leben immer nur spielen, aber ich will leben. Er glaubt jede Schmeichelei, die man ihm sagt, und wird böse, wenn ich ihn warne. Manchmal würde ich mich am liebsten der Grande Dame zu Füßen werfen und sie anflehen, mich zurück nach Hause zu schicken.
    Es gab zu viele Trinkgelage und zu viele Militärparaden in Oranienbaum, und zu häufig wurden sie von Wutausbrüchen Peters gestört. Er zerschlug Stühle, einmal schmiss er eine Flasche durchs Fenster. Ich glaube, der Soldat hat ein gutes Herz , schrieb Katharina, aber sein Geist wird schwach, wenn er zu viel trinkt, und dann ist er unberechenbar.
    Begierig las ich ihre Zeilen ein weiteres Mal, bevor die Flammen sie verzehrten. Manche Dinge sollten nie geschrieben werden, nicht einmal im Geheimen.
    Wenn wir nur miteinander sprechen könnten , dachte ich.
     
    Als das Eis auf der Newa dünner wurde und einen gelblichen Ton annahm, erzählte man in den Salons, dass sich die Kaiserin fünfmal am Tag umziehe. Der junge Iwan Schuwalow las jetzt der Kaiserin ein neues Stück vor, das sie aufführen lassen sollte. Man hatte ihn mit einem träumerischen Ausdruck im Gesicht durch den Palast gehen sehen, eine Hand auf seinem Herzen, als legte er ein Gelöbnis ab. Der »Kaiser der Nacht« hielt sich jetzt die meiste Zeit im Anitschkow-Palais auf.
    Allein.
    »Stellen Sie sich vor!«, sagten die Damen.
    Man stelle sich vor: keine allnächtlichen Umzüge mehr von einem Schlafzimmer ins nächste, keine Wutschreie, keine Angst vor der Dunkelheit. Hinter zugezogenen Vorhängen heitere Tanzmusik, Männerchöre, die alte russische Volkslieder singen. Man stelle sich vor: Jede Nacht ist das mechanische Tischlein-deck-dich der Kaiserin in Betrieb. Man stelle sich vor: eine Frau, die blind ist vor Liebe, wie behext.
    Ich versuchte es, aber meine Gedanken schweiften ab.
    Zu Maschas Entzücken witterte ich andauernd Fäulnis, mir wurde schlecht von allen möglichen Gerüchen. Ich würgte, wenn ich nur von fern den feuchten Schafspelz unseres Kutschers roch oder das muffige Leder von Igors Reitstiefeln, mir war übel, wenn ich morgens aufwachte. Tagelang aß ich nichts als dunkles Bauernbrot und trank nur Kwass. Die Hebamme empfahl, ich sollte an angenehme Dinge denken.
    Ich war wieder schwanger.
    »Unser Sohn«, sagte Igor immer und legte seine Hand auf meinen immer noch geschnürten Bauch. »Unser kleiner Soldat.«
    Ich hörte, dass seine Stimme weicher klang. Ich spürte seine Hand, die meinen Hals streichelte, und dachte an die unbezahlte Rechnung des Metzgers. An die qualmenden Talgkerzen, denn Wachslichter konnten wir uns nicht mehr leisten. An die Perlenkette, die aus meinem Schmuckkästchen verschwunden war.
    In der katholischen Katharinenkirche an der Großen Perspektivstraße, wo ich einst jeden Sonntag mit meinen Eltern zur Messe gewesen war, kniete ich nieder und bekreuzigte mich, wie ich es gelernt hatte. Ich betete um eine Tochter, eine, die sich nicht weigern würde, geboren zu werden. Eine Tochter, die meine sein würde.
    Die Schwangerschaft tat mir gut. Als das Kind wuchs, wurde mein Haar kräftiger, meine Haut wurde glatt und schön. Gehorsam trank ich die Kräutertees, die mir die Hebamme braute. Ich
hob nie die Hand über Schulterhöhe, trug nie ein Halskettchen. Mascha gab mir Lauch und gekochte Backpflaumen zu essen. Sie rieb mir den Bauch mit Salben ein, band mir ein rotes Bändchen ums Handgelenk und murmelte Segenssprüche.
    Dieses Mal wird alles gutgehen, sagte sie, und ich glaubte ihr.
     
    Der Kanzler erwartete mich in der Millionnajastraße; seine Kutsche stand nur ein paar Schritte entfernt. Mir fielen sofort die buschigen grauen Augenbrauen auf, die Falten auf seinen Wangen, der Schatten eines Doppelkinns. Die kaiserliche Liebe, die alle Gemüter beschäftigte, war nicht nach seinem Geschmack, bemerkte ich mit einem Anflug von Schadenfreude. Die Schuwalows machten jetzt ganz offen Stimmung gegen Bestuschews antifranzösische Politik und erhoben den Vorwurf, er lasse sich vom englischen König bestechen.
    Mascha sah die rote Samtjacke und die schweren goldenen Ringe, den Diener, der hinter ihm stand und seinen Stock hielt, und wurde nervös: Dass so ein großer Herr ihre Herrin zu sprechen wünschte, verhieß nichts Gutes. Ich hörte sie ein Stoßgebet murmeln.
    »Guten Tag, Madame Malikina«, sagte der Kanzler. Sein Samtjackett spannte. Ich stellte mir vor, dass die Nähte aufplatzten, dass das weiße Batisthemd und die Narben darunter sichtbar würden.
    Er

Weitere Kostenlose Bücher