Der Winterschmied
es mit neuen Formen und schreckten vor der Hitze des Zorns in Rolands Kopf zurück. Das Schwert summte. Bogels wanden sich um die Klinge, kreischten, sanken zu Boden und lösten sich zischend auf...
... und jemand hämmerte an seinen Helm. Schon seit einer ganzen Weile.
»Hä?«, fragte Roland und öffnete die Augen.
»Es sin' keine mehr da«, sagte Rob Irgendwer. Schwer atmend sah Roland sich um. Ob er die Augen schloss oder nicht: In den Höhlen gab es keine orangefarbenen Streifen mehr. Die Nicht-Tiffany beobachtete ihn mit einem seltsamen Lächeln.
»Entweder wir gehen jetzt, oder du kannst warten, bis noch mehr von den Biestern aufkreuzen«, brummte Rob Irgendwer.
»Und da sind sie schon«, sagte Billy Breitkinn. Er deutete über den Fluss. Eine Masse aus reinem Orange strömte in die Höhle, so viele Bogels , dass es zwischen ihnen keine Lücken mehr gab.
Roland zögerte. Er rang noch immer nach Atem.
»Ich mach dir 'nen Vorschlag«, sagte Rob Irgendwer in tröstendem Ton. »Wenn du 'n braver Junge bis' und die Dame rettest, bringen wir dich noch mal hierher, mit 'nem gut gefüllten Picknickkorb, und dann machen wir uns 'nen schönen Tag.«
Roland blinzelte. »Ah, ja«, sagte er. »Ahm... Entschuldigung. Ich weiß gar nicht, was da eben geschehen ist...« »Auf geht's!«, rief der Große Yan. Roland ergriff die Hand der Nicht-Tiffany.
»Un' schau dich nicht um, bis wir die Unterwelt verlassen ham«, sagte Rob Irgendwer. »Das is' sonne Art Tradition.«
Oben auf dem Turm erschien die Eiskrone in den blassen Händen des Winterschmieds. Selbst im matten Sonnenschein funkelte sie heller als Diamanten. Sie bestand aus reinstem Eis - ohne Luftblasen, Risse und Verschmutzungen.
»Die habe ich für dich gemacht«, sagte er. »Die Sommerfrau wird sie nie tragen«, fügte er traurig hinzu.
Sie passte perfekt und fühlte sich gar nicht kalt an.
Der Winterschmied trat zurück.
»Und jetzt ist es vollbracht«, sagte er.
»Auch für mich gibt es etwas zu vollbringen«, sagte Tiffany »Aber zuerst möchte ich etwas wissen. Du hast also die Dinge gefunden, aus denen der Mensch besteht?«
»Ja!«
»Woher wusstest du, was dafür nötig ist?«
Der Winterschmied erzählte ihr stolz von den Kindern, während Tiffany vorsichtig Luft holte und versuchte, sich
zu entspannen. Seine Logik war sehr... logisch. Wenn eine Möhre und zwei Kohlen einen Haufen Schnee zu einem Schneemann machen können, dann kann aus einem großen Eimer mit Salzen, Gasen und Metall zweifellos ein Mensch werden. Es... ergab einen Sinn. Zumindest für den Winterschmied.
»Aber du solltest auch den Rest des Lieds kennen«, sagte Tiffany. »Es handelt vor allem davon, woraus Menschen bestehen, nicht davon, was Menschen sind.«
»Es gab einige Dinge, die ich nicht finden konnte«, sagte der Winterschmied. »Sie ergaben keinen Sinn. Sie hatten keine Substanz.«
»Ja.« Tiffany nickte traurig. »Ich schätze, es geht dabei um die letzten drei Zeilen. Genau das meine ich. Tut mir wirklich leid.«
»Aber eines Tages werde ich sie finden«, sagte der Winterschmied. »Ganz bestimmt.«
»Das hoffe ich«, erwiderte Tiffany. »Und nun... Hast du jemals von Boffo gehört?«
»Was ist dieses Boffo?«, fragte der Winterschmied beunruhigt. »Im Lied war nicht die Rede davon!«
»Oh, mit Boffo verändern die Menschen die Welt, indem sie sich selbst täuschen«, erklärte Tiffany. »Es ist wundervoll. Boffo zufolge haben die Dinge nur dann Macht, wenn die Menschen ihnen Macht verleihen. Man kann Dinge zu Magie machen, aber man kann mit Magie keinen Menschen aus Dingen machen. Es ist nur ein Nagel im Herzen. Nur ein Nagel.«
Die Zeit ist gekommen, und ich weiß, was es zu tun gilt, dachte Tiffany verträumt. Ich weiß, wie die Geschichte enden muss. Ich muss dafür sorgen, dass sie das richtige Ende bekommt.
Sie zog den Winterschmied an sich und sah die Überraschung in seinem Gesicht. Schwindel und Benommenheit erfassten sie; es fühlte sich an, als würden ihre Füße über dem Boden schweben. Die Welt wurde... einfacher, zu einem Tunnel, der in die Zukunft führte. Tiffany sah nur noch das Gesicht des Winterschmieds, hörte nur noch ihren eigenen Atem und fühlte allein den warmen Sonnenschein auf dem Haar.
Es war zwar nicht die brennende Sonne des Sommers, aber es gab weit und breit kein größeres Feuer.
Wohin auch immer mich dies bringt, ich entscheide, dorthin zu gehen, dachte sie und ließ die Wärme in sich hineinfließen. Ich entscheide.
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