Der Winterschmied
»kühl«. Aber sie dachte den Gedanken. Es war ein heißer kleiner Gedanke.
»Zu meiner Zeit ritzten junge Männer die Initialen eines Mädchens in einen Baum«, sagte Fräulein Verrat, die vorsichtigen Schrittes die Treppe herunterkam. Zu spät spürte Tiffany das Prickeln hinter den Augen.
»Das ist nicht komisch, Fräulein Verrat! Was soll ich machen?«
»Ich weiß nicht. Sei du selbst, wenn möglich.«
Fräulein Verrat bückte sich mit knirschenden Knochen und öffnete die Hand. Die Sehmaus sprang auf den Boden, drehte sich und blickte mit ihren kleinen schwarzen Knopfa ugen zu ihr auf. Die alte Hexe stieß sie mit dem Finger an. »Geh nur, geh. Danke«, sagte sie, und die Maus flitzte fort und verschwand in einem Loch.
Tiffany half Fräulein Verrat dabei, sich aufzurichten, und die Alte sagte: »Du fängst an zu flennen, nicht wahr?« »Nun, es ist alles ein bisschen...«, setzte Tiffany an. Die kleine Maus hatte so einsam und verlassen ausgesehen. »Weine nicht«, sagte Fräulein Verrat. »So lange zu leben ist nicht so wundervoll, wie die Leute glauben. Ich meine, man ist zwar genauso lange jung wie alle anderen, aber viel, viel länger sehr alt, taub und gebrechlich. Jetzt putz dir die Nase und hilf mir bei der Sitzstange für die Raben.«
»Vielleicht ist er noch immer da draußen...«, murmelte Tiffany, während sie ihr die Stange auf die schmalen Schultern setzte.
Dann rubbelte sie wieder einen Fleck auf der Fensterscheibe frei und entdeckte ein paar Gestalten, die sich aufs Haus zubewegten.
»Oh... sie kommen...«, sagte Tiffany.
»Was?«, fragte Fräulein Verrat. Sie hielt inne. »Es sind viele Leute dort draußen!«
»Ah... ja«, bestätigte Tiffany.
»Was weißt du darüber, Mädchen?«
»Ach, sie haben immer wieder gefragt, wann du...«
»Hol die Schädel! Sie dürfen mich nicht ohne meine Schädel sehen! Wie sehen meine Haare aus?«, fragte Fräulein Verrat und zog hastig ihre Uhr auf.
»Hübsch...«
»Hübsch? Hübsch? Bist du verrückt? Bring sie sofort durcheinander!«, wies Fräulein Verrat sie an. »Und hol meinen abgetragensten Mantel! Dieser ist viel zu sauber! Nun mach schon, Kind!«
Es dauerte einige Minuten, Fräulein Verrat vorzubereiten, und einen großen Teil dieser Zeit nutzte Tiffany dazu, die alte Hexe davon zu überzeugen, dass sie die Schädel nicht nach draußen mitnehmen sollte - womöglich fielen sie zu Boden, so dass die Leuten die Etiketten in ihrem Innern sehen konnten. Dann öffnete Tiffany die Tür. Gemurmelte Gespräche verstummten abrupt.
Eine Menschenmenge stand vor der Hütte. Als Fräulein Verrat vortrat, teilte sie sich, um ihr Platz zu machen. Tiffany stellte entsetzt fest, dass auf der anderen Seite der Lichtung ein Grab ausgehoben worden war. Das hatte sie nicht erwartet. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte, aber ein frisches Grab bestimmt nicht.
»Wer hat...«
»Unsere blauen Freunde«, sagte Fräulein Verrat. »Ich habe sie darum gebeten.«
Und dann begann die Menge, ihr zuzujubeln. Frauen traten mit großen Sträußen aus Eiben-, Stechpalmen- und Mistelzweigen vor, das einzige Grün, das im Winter wuchs. Manche Leute lachten, andere weinten. Sie scharten sich um die Hexe und drängten Tiffany an den Rand. Sie wurde still und lauschte.
»Wir wissen gar nicht, was wir ohne dich machen sollen, Fräulein Verrat.« Und: »Wir bekommen bestimmt keine Hexe, die so gut ist wie du, Fräulein Verrat!« Und: »Wir hätten nie gedacht, dass du einmal von uns gehst, Fräulein Verrat, du hast meinen alten Großvater auf die Welt gebracht!« ...
Ins eigene Grab gehen, dachte Tiffany. Wie stilvoll. Das ist das Nonplusultra des Boffo. Die Leute werden sich für den Rest ihres Lebens daran erinnern...
»In dem Fall solltest du alle Welpen behalten, bis auf ei nen...« Fräulein Verrat war stehen geblieben, um die Menge zu ordnen. »Es ist Brauch, dem Eigentümer des Rüden einen abzugeben. Du hättest die Hündin einsperren und deine Zäune besser in Schuss halten sollen. Und deine Frage, Herr Blinkhorn?«
Tiffany warf sich ins Kreuz. Die Leute belästigten sie! Selbst an diesem Morgen! Aber Fräulein Verrat... wollte belästigt werden. Solche Belästigungen machten ihr Leben aus.
»Fräulein Verrat!«, fauchte sie, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. »Denk daran, dass du einen Termin hast!«
Das war nicht gerade taktvoll, aber immer noch besser als: »Du hast gesagt, dass du in etwa fünf Minuten sterben wirst!«
Fräulein
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