Der Winterschmied
Fräulein Verrat. Man konnte so leicht vergessen, dass sie auf eine geistesabwesende Art und Weise dauernd die Augen und Ohren anderer Personen benutzte.
»Hast du die Rosen gesehen?«, fragte Tiffany. Sie hatte das verräterische Prickeln nicht bemerkt, aber in jenem Moment war ihr Fühlen allein von Sorge bestimmt gewesen.
»Ja, sehr hübsch«, antwortete Fräulein Verrat. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Tiffany, aber ich werde anderweitig beschäftigt sein. Und Romanzen sind ein Gebiet, auf dem ich dir nicht viel raten kann.«
»Romanzen?«, fragte Tiffany schockiert.
»Die junge Wetterwachs und Fräulein Tick müssen dir dabei helfen«, fuhr Fräulein Verrat fort. »Aber ich befürchte, dass sie kaum jemals bei den Turnieren der Liebe gekämpft haben.«
»Turniere der Liebe?«, wiederholte Tiffany. Es wurde immer schlimmer!
»Kannst du Poker spielen?«, fragte Fräulein Verrat.
»Wie bitte?«
»Poker. Das Kartenspiel. Oder >Leg Herrn Zwiebel rein Oder >Jag den Nachbarn durch die Gasse Du hast doch bestimmt schon bei Toten und Sterbenden gewacht, oder?«
»Ja, aber ich habe nie mit ihnen Karten gespielt! Und nein, ich kenne weder Poker noch die anderen Spiele!« »Dann bringe ich sie dir bei. In der untersten Schublade der Frisierkommode liegt ein Kartenspiel. Geh und hol es.«
»Ist Poker ein Glücksspiel?«, fragte Tiffany. »Mein Vater meint, man sollte sich nicht auf Glücksspiele einlassen.«
Fräulein Verrat nickte. »Ein guter Rat, meine Liebe. Keine Sorge. So wie ich Poker spiele, hat Glück überhaupt nichts damit zu tun...«
Als Tiffany aus dem Schlaf schreckte, rutschten Spielkarten von ihrem Kleid und fielen zu Boden. Das kalte graue Licht des Morgens füllte das Zimmer.
Sie sah zu Fräulein Verrat hinüber, die wie ein Schwein schnarchte.
Wie spät war es? Bestimmt schon sechs durch! Was sollte sie jetzt tun?
Nichts. Es gab nichts zu tun.
Tiffany nahm das Zauberstab-Ass in die Hand und betrachtete es. Das war also Poker, wie? Nun, sie hatte gar nicht so schlecht gespielt, als ihr klar geworden war, dass es größtenteils darum ging, das Gesicht lügen zu lassen. Die Karten waren eigentlich nur dazu da, die Hände zu beschäftigen.
Fräulein Verrat schlief immer noch. Tiffany fragte sich, ob sie Frühstück machen sollte, aber das erschien ihr irgendwie ...
»Die alten Könige von Djelibeby, die in Pyramiden bestattet wurden, glaubten, dass sie Dinge in die nächste Welt mitnehmen konnten«, sagte Fräulein Verrat vom Bett aus. »Dinge wie Gold, Edelsteine und sogar Sklaven. Und deshalb mach mir bitte ein Schinken-Sandwich.«
»Äh... du meinst...?«, begann Tiffany.
»Die Reise nach dem Tod ist ziemlich lang«, sagte Fräulein Verrat und setzte sich auf. »Vielleicht bekomme ich Hunger.«
»Aber du wirst doch nur eine Seele sein!«
»Vielleicht hat ein Schinken-Sandwich ebenfalls eine Seele«, sagte Fräulein Verrat und schwang die dünnen Beine vom Bett. »Was den Senf betrifft, bin ich nicht ganz sicher, aber es ist einen Versuch wert. Halt mal eben still!« Das sagte sie, weil sie eine Haarbürste genommen hatte und Tiffany als Spiegel benutzte. An diesem Morgen fiel es dieser sehr schwer, den nur wenige Zentimeter entfernten starren Blick zu ertragen.
»Danke, du kannst gehen und das Sandwich machen«, sagte Fräulein Verrat und legte die Bürste beiseite. »Ich ziehe mich jetzt an.«
Tiffany eilte hinaus und wusch sich das Gesicht im Becken ihres Zimmers. Das machte sie immer, wenn Fräulein Verrat ihre Augen benutzt hatte, aber sie brachte nie den Mut auf, Einwände zu erheben, und dies war gewiss nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Als sie sich das Gesicht abtrocknete, glaubte sie, draußen einen gedämpften Laut zu hören, und sie ging zum Fenster. Eisblumen bedeckten die...
O nein... o... nein... nein! Er fängt schon wieder an!
Die Eisblumen formten unzählige Male das Wort Tiffany.
Sie nahm das Handtuch und wischte die Scheiben ab, aber die Eisblumen bildeten sich erneut, noch dicker. Tiffany eilte nach unten. Auch dort waren die Fenster voller Eisblumen, und als sie versuchte, sie fortzuwischen, klebte das Handtuch am Glas fest. Es knisterte, als sie daran zog.
Ihr Name stand überall auf dem Fenster. Auf allen Fenstern. Vielleicht auf allen Fenstern in den Bergen. Überall. Er war zurückgekehrt. Wie schrecklich!
Aber irgendwie war es auch... cool...
Das war nicht das Wort, das Tiffany dachte, denn für sie bedeutete es nichts anderes als
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