Der Winterschmied
geheime, glucksende und schnalzende Dinge mit ihr, zog ihr die beste Kleidung an und stellte Schalen mit Erde und Salz neben ihr auf (niemand wusste warum, nicht mal Fräulein Verrat, aber so war es nun mal üblich) und legte ihr zwei Münzen auf die Augen, »für den Fährmann«. Dann saß man in der Nacht vor der Bestattung bei ihr, weil man sie nicht allein lassen sollte.
Es gab keine richtige Erklärung für diesen Brauch, aber alle kannten die Geschichte von dem alten Mann, der etwas weniger tot gewesen war, als alle gedacht hatten: Mitten in der Nacht war er vom Gästebett aufgestanden und zu seiner Frau ins Ehebett zurückgekehrt.
Der wahre Grund war vermutlich ein ganzes Stück finsterer. Anfang und Ende brachten immer Gefahr mit sich, vor allem, wenn es dabei um das Leben ging.
Aber Fräulein Verrat war eine verschlagene alte Hexe. Wer wusste schon, was geschehen würde? Moment mal, sagte sich Tiffany. Fall nicht selbst auf Boffo herein. Fräulein Verrat war nur eine clevere alte Dame mit einem Katalog!
Im anderen Zimmer verstummte der Webstuhl.
Das passierte oft. Doch an diesem Abend war die plötzliche Stille lauter als sonst.
Fräulein Verrat rief: »Was haben wir in der Speisekammer, das aufgegessen werden muss?«
Ja, mir steht eine äußerst seltsame Nacht bevor, dachte Tiffany.
Fräulein Verrat ging früh zu Bett. Seit Tiffany bei ihr war, geschah es zum ersten Mal, dass sie nicht in einem Sessel schlief. Außerdem hatte sie ein langes weißes Nachthemd angezogen - Tiffany sah sie zum ersten Mal nicht in Schwarz.
Es gab noch immer viel zu tun. Die Tradition verlangte, dass die Hütte der nächsten Hexe blitzsauber übergeben wurde, und Tiffany gab sich alle Mühe, obgleich es schwer war, Schwarz zum Blitzen zu bringen. Eigentlich war es in der Hütte immer ziemlich sauber, doch sie kratzte und schrubbte und putzte, denn es zögerte den Moment hinaus, in dem sie zu Fräulein Verrat gehen und mit ihr reden musste. Sie holte sogar die falschen Spinnweben herunter und warf sie ins Feuer, wo sie mit einer scheußlichen blauen Flamme verbrannten. Die Schädel ließ sie liegen, denn sie wusste nicht recht, was sie mit ihnen anfangen sollte. Schließlich schrieb sie alle Dinge über die Nachbardörfer auf, an die sie sich erinnern konnte: wann Babys erwartet wurden, wer schwer erkrankt war und woran, wer sich mit wem stritt, wer »schwierig« war und all die anderen kleinen Details, die für Annagramma hilfreich sein konnten. Und das alles nur, um den Moment hinauszuzögern...
Und dann blieb ihr nichts anderes übrig, als die schmale Treppe hochzugehen und zu fragen: »Ist alles in Ordnung, Fräulein Verrat?«
Die alte Hexe saß in ihrem Bett und schrieb. Die Raben hockten auf den Bettpfosten.
»Ich schreibe nur ein paar Dankesbriefe«, sagte Fräulein Verrat. »Einige der Damen sind einen weiten Weg hierhergekommen und haben vermutlich einen kalten Rückflug.«
»>Danke dafür, dass ihr zu meiner Beerdigung gekommen seid< Briefe?«, fragte Tiffany schwach.
»Ja. Und solche Briefe werden nicht oft geschrieben, da kannst du sicher sein. Du weißt ja, dass das Mädchen namens Annagramma Falkin hier die neue Hexe sein wird, nicht wahr? Bestimmt möchte sie, dass du bleibst. Zumindest für eine Weile.« »Ich halte das nicht für eine gute Idee«, sagte Tiffany.
»In der Tat«, bestätigte Fräulein Verrat und lächelte. »Ich schätze, die junge Wetterwachs wird da schon etwas arrangieren. Es dürfte interessant sein zu sehen, wie Frau Ohrwurms Art von Hexerei bei den dummen Dorfbewohnern ankommt, obwohl es besser wäre, das aus der Deckung eines Felsens heraus zu beobachten. Oder, in meinem Fall, von darunter.«
Sie legte die Briefe beiseite, und beide Raben sahen Tiffany an.
»Du bist erst seit drei Monaten bei mir.«
»Das stimmt, Fräulein Verrat.«
»Wir haben nie von Frau zu Frau miteinander gesprochen. Ich hätte dich mehr lehren sollen.«
»Ich habe viel gelernt, Fräulein Verrat.« Und das war die Wahrheit.
»Du hast einen jungen Mann, Tiffany. Er schickt dir Briefe und Päckchen. Jede Woche fliegst du nach Lancre, um ihm Briefe zu schicken. Ich fürchte, du lebst nicht dort, wo du liebst.«
Tiffany schwieg. Sie hatten schon einmal darüber gesprochen. Roland schien Fräulein Verrat zu faszinieren.
»Ich hatte immer zu viel zu tun, um mich um junge Männer zu kümmern«, sagte Fräulein Verrat. »Sie waren immer für später da, und dann war später zu spät. Kümmer dich um
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