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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Fräulein Verrat erinnern!«
    Fräulein Verrat schloss die Augen.
    »Ich werde dich bestimmt nicht vergessen, Fräulein Verrat«, sagte Tiffany. »Ganz bestimmt nicht, denn...«
    Die Welt war grau geworden und wurde noch grauer. Und Fräulein Verrat bewegte sich nicht mehr.
    F RÄULEIN E UMENIDES V ERRAT, A LTER HUNDERTELF?
    Tiffany hörte die Stimme im Innern ihres Kopfes. Sie schien nicht durch die Ohren gekommen zu sein. Und sie hatte sie schon einmal gehört, was sehr ungewöhnlich war. Die meisten Leute hören Tods Stimme nur einmal. Fräulein Verrat stand auf, ohne dass auch nur ein Knochen knackte. Und sie sah genau wie Fräulein Verrat aus, nicht wie ein Geist. Sie lächelte. Was nun im seltsamen Licht auf dem trockenen Laub lag, war nur ein Schatten. Aber neben ihr stand eine sehr große, dunkle Gestalt: der Tod höchstpersönlich. Tiffany hatte ihn schon einmal gesehen, in seinem eigenen Land jenseits der Dunklen Tür, aber man musste ihm nicht schon einmal begegnet sein, um ihn zu erkennen. Die Sense, der lange schwarze Kapuzenmantel und natürlich das Bündel aus Stundengläsern waren eindeutige Indizien.
    »Wo bleiben deine Manieren, Kind?«, fragte Fräulein Verrat.
    Tiffany sah auf und sagte: »Guten Morgen.«
    G UTEN M ORGEN T IFFANY W EH, A LTER DREIZEHN, erwiderte Tod mit seiner NichtStimme.W IE ICH SEHE BIST DU BEI GUTER G ESUNDHEIT.
    »Auch ein kleiner Knicks wäre angebracht«, sagte Fräulein Verrat.
    Vor dem Tod knicksen?, dachte Tiffany. Das hätte Oma Weh nicht gefallen. Geh nie vor einem Tyrannen in die Knie, hätte sie gesagt.
    N UN MÜSSEN WIR GEMEINSAM GEHEN. Tod nahm Fräulein Verrat sanft am Arm.
    »He, einen Augenblick!«, stieß Tiffany hervor. »Fräulein Verrat ist hundertdreizehn!«
    »Ah... ich habe mein Alter aus beruflichen Gründen ein wenig geändert«, sagte Fräulein Verrat. »Hundertelf klingt so... jugendlich.« Um ihre geisterhafte Verlegenheit zu überspielen, steckte sie die Hand in die Tasche und holte den Geist eines Schinken-Sandwichs hervor.
    »Ah, es hat funktioniert«, sagte sie. »Ich wusste, dass... He, wohin ist der Senf verschwunden?«
    AUF DEN SENF IST NIE VERLASS, sagte der Tod, während beide zu verblassen begannen.
    »Kein Senf? Was ist mit eingelegten Zwiebeln?«
    EINGELEGTES ALLER ART SCHEINT ES NICHT INS JENSEITES ZU SCHAFFEN TUT MIR LEID. Hinter ihnen erschienen die Umrisse einer Tür.
    »Kein Relish in der nächsten Welt? Wie schrecklich! Was ist mit Chutney?«, fragte das verschwindende Fräulein Verrat.
    ES GIBT MARMELADE. MARMELADE FUNKTIONIERT.
    »Marmelade? Marmelade? Schinken mit Marmelade?«
    Und dann waren sie fort. Das Licht wurde wieder normal. Die Geräusche kehrten zurück, und mit ihnen die Zeit. Wieder kam es darauf an, nicht zu sehr nachzudenken, ruhig zu bleiben und sich auf das zu konzentrieren, was getan werden musste.
    Unter den Blicken der Leute, die sich immer noch auf der Lichtung herumtrieben, ging Tiffany los und holte Decken. Sie legte sie zu einem Bündel zusammen, damit niemand die beiden Boffo-Schädel und den Spinnwebapparat darin bemerkte, als sie sie zum Grab trug. Als Fräulein Verrat und ihr Boffo-Geheimnis gut verpackt waren, begann Tiffany, das Grab zuzuschaufeln. Einige Männer eilten herbei und halfen ihr, bis ein Geräusch aus dem Boden drang:
    Klonk, klank. Klonk.
    Die Männer erstarrten. Auch Tiffany hielt inne, aber ihre Dritten Gedanken meldeten sich zu Wort: Keine Sorge! Denk daran, sie hat die Uhr angehalten! Ein herunterfallender Stein oder so etwas muss sie wieder in Gang gesetzt haben!
    Sie entspannte sich und sagte liebenswürdig: »Das war vermutlich ihre Art, uns Lebewohl zu sagen.«
    Rasch schaufelten sie die restliche Erde ins Grab.
    Und jetzt bin ich Teil von Boffo, dachte Tiffany, als die Leute zu ihren Dörfern zurückeilten. Aber Fräulein Verrat hat sehr hart für sie gearbeitet. Sie verdient es, ein Mythos zu sein, wenn sie das möchte. Und ich wette, ich wette, dass die Dorfbewohner sie in dunklen Nächten hören werden ...
    Doch jetzt gab es nur noch den Wind und die Bäume.
    Tiffany blickte auf das Grab hinab.
    Jemand sollte etwas sagen. Nun, sie war die Hexe, oder?
    Im Kreideland und in den Bergen spielte Religion keine große Rolle. Etwa einmal im Jahr kamen Omnianer und veranstalteten ein gemeinsames Gebet, und manchmal ritt ein Priester der Neun-Tage-Rätsler, vom Bistum des Kleinen Glaubens oder von der Kirche der Geringen Götter auf einem Esel durch die Dörfer. Die Leute gingen

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