Der Winterschmied
wäre geschehen, wenn jemand >Mist!< gesagt hätte?«
Tiffany setzte sich zwischen schneebedeckten Bäumen auf einen Baumstumpf, das Füllhorn auf dem Schoß. Einst war der Wald hübsch gewesen. Jetzt war er abscheulich. Dunkle Stämme inmitten von Schneewehen, eine gestreifte Welt aus Schwarz und Weiß, wie ein Gitter im Gegenlicht.
Komisch... Das Füllhorn war stets ein wenig warm, selbst hier draußen, und schien im Voraus zu wissen, wie groß es sein musste. Ich wachse, ich schrumpfe, dachte Tiffany. Und ich fühle mich gerade ziemlich klein.
Und jetzt? Was nun? Sie hatte gehofft, dass ihre... Macht vom Himmel fallen würde, wie es schon das Füllhorn getan hatte. Aber nichts dergleichen geschah.
Es gab Leben unter dem Schnee. Sie spürte es in den Fingerspitzen. Irgendwo dort unten, außer Reichweite, befand sich der wahre Sommer. Mit dem Füllhorn schaufelte Tiffany den Schnee beiseite, bis welkes Laub zum Vorschein kam. In den weißen Geflechten der Pilze und den bleichen neuen Wurzeln dort unten war Leben. Ein halb gefrorener Wurm kroch langsam unter das Skelett eines Blatts, so fein wie Spitze. Daneben lag eine Eichel. Es war still im Wald. Er hielt den Atem an und wartete auf Tiffany, und sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Ich bin nicht die Sommerfrau, dachte sie. Ich kann sie auch nie sein. Ich trete in ihre Fußstapfen, aber ich kann nicht zu ihr werden. Ich bin vielleicht imstande, einige Blumen wachsen zu lassen, aber ich kann nicht zur Sommerfrau werden. Wenn sie über die Welt wandert, steigen die Lebenssäfte wie ein Meer in den toten Bäumen auf, und Millionen von Tonnen Gras wachsen in einer Sekunde. Kann ich das auch? Nein. Ich bin ein dummes, kleines Mädchen, das ein paar Tricks beherrscht, mehr nicht. Ich bin bloß Tiffany Weh, und ich habe Heimweh.
Aus schlechtem Gewissen dem Wurm gegenüber hauchte sie warme Luft auf den Boden und bedeckte ihn dann wieder mit Blättern. Dabei erklang ein feuchtes kleines Geräusch, als würde man einem Frosch die Finger brechen, und die Eichel öffnete sich. Ein weißer Trieb kam daraus hervor und wuchs mehr als einen Zentimeter, noch während Tiffany ihn anschaute.
Rasch bohrte sie mit den Fingern ein kleines Loch in den Boden, steckte die Eichel hinein und klopfte die Erde wieder fest.
Jemand beobachtete sie. Tiffany stand auf und drehte sich um. Niemand war zu sehen, aber das hatte nichts zu sagen.
»Ich weiß, dass du da bist!«, sagte sie und drehte sich im Kreis. »Wer auch immer du bist!«
Ihre Stimme hallte zwischen den schwarzen Bäumen wider. Selbst in ihren eigenen Ohren klang sie dünn und angstvoll.
Unwillkürlich hob sie das Füllhorn.
»Zeig dich«, brachte sie mit zittriger Stimme hervor. »Oder...«
Oder was?, dachte sie. Oder ich stopfe dich mit Obst voll?
Schnee fiel mit einem dumpfen Geräusch aus einem Baum. Tiffany zuckte zusammen und kam sich dadurch noch alberner vor. Jetzt zuckte sie sogar schon zusammen, weil eine Hand voll Schneeflocken zu Boden fiel! Oma Wetterwachs hatte ihr einmal gesagt, dass eine Hexe sich selbst im dunkelsten Wald nicht fürchten muss, denn im Grunde ihres Herzens sollte sie wissen, dass sie selbst das schrecklichste Geschöpf des Waldes ist. Erneut hob sie das Füllhorn und sagte halbherzig: »Erdbeere ...«
Etwas sauste mit einem Pffft aus dem Füllhorn und hinterließ einen roten Fleck an einem gut fünf Meter entfernten Baum. Tiffany machte sich nicht die Mühe nachzuschauen, was es war; das Füllhorn gab einem immer das, was man haben wollte.
Was man von ihr nicht unbedingt sagen konnte.
Und zu allem Überfluss war sie heute auch noch damit an der Reihe, Annagramma einen Besuch abzustatten. Tiffany seufzte schwer. Wahrscheinlich würde sie da auch irgendwas falsch machen.
Sie setzte sich auf den Besen, hob ab und verschwand langsam zwischen den Bäumen.
Nach ein oder zwei Minuten schob sich ein grüner Trieb aus dem Fleckchen Erde, das Tiffany angehaucht hatte. Er wuchs bis zu einer Höhe von fünfzehn Zentimetern und entwickelte zwei grüne Blätter.
Schritte näherten sich. Sie knirschten nicht so, wie es Schritte sonst auf vereistem Schnee tun.
Dann knirschte es aber doch, als jemand sich in den Schnee kniete.
Zwei knochige, aber sehr kräftige Hände formten aus Schnee und welken Blättern eine hohe, schmale Barriere, die den Trieb umgab und ihn vor dem Wind schützte wie einen Soldaten in einem Schloss.
Eine kleine weiße Katze wollte daran schnüffeln und wurde vorsichtig
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