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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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vieler Milliarden Dollar noch niemand solche Spuren gefunden hat. Für gestandene Materialisten besagt das aber noch längst nicht, dass die Spurentheorie des Gedächtnisses falsch sein könnte. Es bedeutet einfach, dass wir noch mehr Zeit und Geld in die Suche stecken müssen.
    Dabei sind materielle Spuren keineswegs die einzige Möglichkeit. Schon in der Antike zweifelten etliche Philosophen, allen voran Plotin, daran, dass es sich bei Erinnerungen um Abdrücke handelt. [337] Sie fanden, Erinnerungen seien eher immaterieller Natur und gehörten nicht zum Körper, sondern zur Seele. [338] Auch Philosophen der Neuzeit wie Henri Bergson und Alfred North Whitehead sahen Erinnerungen eher als direkte Verbindungen über die Zeit hinweg, nicht als etwas Materielles im Gehirn (siehe Kapitel 4 ).
    Ich vertrete die Ansicht, dass unser Gedächtnis auf morphischer Resonanz beruht. Alle Lebewesen stehen unter dem Einfluss der morphischen Resonanz mit ihrer eigenen Vergangenheit. Morphische Resonanz beruht auf Ähnlichkeit, und da jeder Organismus seiner eigenen früheren Form ähnlicher ist als jeder anderen innerhalb derselben Art, muss Selbstresonanz hochspezifisch sein. Auch das kollektive Gedächtnis beruht wie das individuelle Gedächtnis auf morphischer Resonanz. Sie sind nicht grundsätzlich, sondern nur graduell verschieden.
    Beginnen wir mit der Spurentheorie des Gedächtnisses, um dann zur Resonanzhypothese überzugehen und uns schließlich zu fragen, wie diese Hypothese überprüft werden könnte.

Weiß die Motte, was sie als Raupe gelernt hat?
    Insekten, die eine vollständige Metamorphose durchlaufen, erleben gewaltige Veränderungen der Anatomie und Lebensweise. Man glaubt es kaum, dass es sich bei der Blätter fressenden Raupe um den gleichen Organismus handelt wie der später aus der Puppe hervorgehende Falter. In der Puppe wird das Raupengewebe praktisch komplett aufgelöst, bevor sich die adulte Form bildet. Sogar das Nervensystem wird größtenteils abgebaut.
    Trotz all dieser Veränderungen während der Metamorphose können sich Falter offenbar an das erinnern, was sie als Raupe gelernt haben. Das ergab eine neuere Untersuchung, die von Martha Weiss und ihren Kollegen an der Georgetown University in Washington durchgeführt wurde. Sie trainierten Raupen des Tabakschwärmers
Manduca sexta
auf eine Aversion gegen den Geruch von Äthylazetat: Immer wenn die Tiere diesem Geruch ausgesetzt wurden, bekamen sie zusätzlich leichte elektrische Schläge. Nach zwei Häutungen im Larvenstadium und der Metamorphose im Puppenstadium zeigte sich bei den ausgewachsenen Faltern eine Aversion gegen Äthylazetat, obwohl ihr Nervensystem einen radikalen Umbau erfahren hatte. Weiss und ihre Kollegen nahmen genaue Kontrolluntersuchungen vor, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um eine Übertragung von Gelerntem handelte und nicht einfach von den Raupen aufgenommene Geruchsstoffe mitgeschleppt worden waren. [352]
    Wenn sich ausgewachsene Falter an Erfahrungen des Raupenstadiums erinnern, könnte das von Bedeutung für die Evolution sein. Sollten beispielsweise die Erfahrungen, die eine Raupe mit bestimmten Pflanzen gemacht hat, das Verhalten des erwachsenen Falters beeinflussen, so würde der weibliche Falter seine Eier nicht an schädlichen Pflanzen ablegen, sondern zuträgliche bevorzugen, selbst wenn diese Falterart noch keine Erfahrung mit diesen Pflanzen gemacht hat. Neue Vorlieben für bestimmte Wirtspflanzen könnten sich innerhalb einer Generation entwickeln und würden auch bei den Nachkommen bestehen bleiben. Eine Spezies könnte sehr rasch neue Ernährungsgewohnheiten ausbilden.
    Die Übertragung von Gelerntem von der Raupe auf den Falter wäre unter dem Gesichtspunkt, dass das Nervensystem im Verlauf dieser Entwicklung fast vollständig umgebaut wird, kaum mit in materieller Form gespeicherten Erinnerungsspuren zu erklären. Es weist aber auch bei höheren Tierarten und beim Menschen manches darauf hin, dass Erinnerungen nicht als Spuren gespeichert sind und erhebliche Schädigungen des Gehirns überdauern können.

Resonanz mit der Vergangenheit
    Nach der Spurentheorie sind Erinnerungen als materielle Spuren im Gehirn gespeichert, beispielsweise als chemische Stoffe in Synapsen. Dagegen besagt die Resonanztheorie, dass Erinnerungen durch Resonanz mit ähnlichen früheren Aktivitätsmustern übertragen werden. Durch entsprechende Abstimmung »empfangen« wir unsere eigene Vergangenheit. Wir tragen unser

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