Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
Vom Netzwerk:
wiederholt sich auch das Reaktionsmuster: Kontraktion und anschließende Rückkehr zum Normalzustand. Bei weiteren Wiederholungen geschieht jedoch die Rückkehr zum Normalzustand immer schneller, bis schließlich gar keine Reaktion mehr auf den harmlosen Reiz erfolgt. Das ist Gewöhnung durch Selbstresonanz. Ein neuartiger Reiz dagegen provoziert gerade deshalb eine deutliche Reaktion, weil der Organismus noch nicht mit ihm vertraut ist.
    Gewohnheitsbildung findet bei allen großen und kleinen Tieren statt, ob sie ein Nervensystem besitzen oder nicht. Besonders eingehend wurde der Gewöhnungsprozess bei der Riesenseeschnecke
Aplysia
erforscht, die über dreißig Zentimeter lang wird. Sie besitzt ein sehr einfach gebautes Nervensystem, das von Individuum zu Individuum sehr ähnlich ist. Diese Schnecke zieht ihre Kiemen ein, sobald sie berührt wird. Dieser Reflex bleibt jedoch wie bei
Stentor
bald aus, wenn schwache oder harmlose Reize wiederholt werden. Die sensorischen und motorischen Zellen, die den Kiemenreflex steuern, sind von Eric Kandel und seiner Gruppe lokalisiert worden; nur vier motorische Zellen sind für den Einzugsreflex verantwortlich. Im Falle einer Gewöhnung hören die sensorischen Zellen allmählich auf, die motorischen Zellen anzuregen, sie setzen dann immer seltener kleine Mengen von chemischen Überträgersubstanzen (Transmittern) an den synaptischen Verbindungen mit den motorischen Zellen frei. Wenn sich jedoch im Laufe eines Gewöhnungsprozesses etwas an den Synapsen ändert, muss das nicht bedeuten, dass die Erinnerungen chemisch dort gespeichert werden. Vielleicht ist der gesamte Organismus wie bei
Stentor
durch morphische Resonanz in den Gewöhnungsprozess einbezogen. Vielleicht ist Selbstresonanz bei allen einfachen und komplexen Lebewesen, auch bei uns Menschen, die Basis der Gewohnheitsbildung.
    Das Gegenteil von Gewöhnung ist Sensibilisierung: Bei schädlichen Reizen besteht eine zunehmende Reaktionsbereitschaft. Selbst bei einzelligen Lebewesen wie
Stentor
ist dieses Verhalten zu beobachten. Wenn man das Trompetentierchen schädlichen Partikeln aussetzt, zieht es sich in seine Röhre zurück. Beim nächsten Reiz dieser Art geht der Rückzug deutlich schneller vor sich, und wenn sich der schädliche Reiz noch einige Male wiederholt, löst die Zelle schließlich ihren Fußteil vom Untergrund und lässt sich vom Wasserstrom davontragen, bis sie eine weniger lebensfeindliche Stelle findet, an der sie sich niederlässt, eine neue Röhre ausbildet und ihr normales Leben wieder aufnimmt. Auch bei
Aplysia
ist eine solche Sensibilisierung zu beobachten. Kandel und seine Mitarbeiter beschreiben etliche Veränderungen an Nervenzellen, zu denen es dabei kommt. Während bei der Gewöhnung immer weniger Neurotransmitter von den sensorischen Neuronen an den synaptischen Verbindungen zu den motorischen Neuronen freigesetzt werden, nimmt diese Ausschüttung bei der Sensibilisierung zu. [367]
    Auch hier besteht keine Notwendigkeit anzunehmen, das für die Sensibilisierung notwendige Gedächtnis sei irgendwie als chemische Veränderung in den Zellen gespeichert. Wir können hier ebenso wie bei der Gewohnheitsbildung einen Prozess der Selbstresonanz annehmen. Wenn sich ein früherer schädlicher Reiz erneut einstellt, tritt der Organismus in Resonanz mit sich selbst und reagiert auf den gleichen Reiz jetzt stärker. Außerdem kann die Sensibilisierung so weit gehen, dass der Organismus irgendwann etwas Neues unternimmt.
Stentor
schwimmt weg. [368]
Aplysia
stößt eine toxische Tintenwolke aus, die Wasserstoffperoxid enthält. [369]

ResonanzLernen
    Bei Tieren werden Verhaltensweisen vielfach durch Imitation von den Artgenossen übernommen. Junge Amseln beispielsweise lernen Liedstrophen dadurch, dass sie älteren Vögeln zuhören. Es handelt sich um eine Art kulturelle Vererbung.
    Am höchsten ist die kulturelle Vererbung beim Menschen entwickelt. Wir alle lernen viele Verhaltensweisen und Fähigkeiten von anderen – unsere Muttersprache, Rechnen, Flötespielen, Stricken und vieles andere. Die Weitergabe solcher Fähigkeiten lässt sich als Resonanzprozess auffassen.
    In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fiel den Neurowissenschaftlern eine merkwürdige Übereinstimmung auf: Wenn ein Tier ein anderes bei irgendwelchen Aktionen beobachtete, kam es im motorischen Teil seines Gehirns zu Veränderungen, die den Aktionsmustern im Gehirn des beobachteten Tiers entsprachen. Man hat für dieses

Weitere Kostenlose Bücher