Der Wissenschaftswahn
als Gehirntätigkeit?
Sie sind eher mager. Niemand hat je einen Gedanken oder eine bildhafte Vorstellung im Kopf eines anderen oder im eigenen Kopf gesehen. [385] Wenn wir uns umsehen, nehmen wir die Bilder, die wir von den Dingen haben, da draußen und nicht in unserem Kopf wahr. Unsere Körpererfahrung ist in unserem Körper. Die Empfindungen in meinen Fingern sind in meinen Fingern, nicht im Kopf. In der unmittelbaren Erfahrung findet sich nichts, was für die außergewöhnliche Behauptung spricht, alle Erfahrung sei in unserem Gehirn. Die unmittelbare Erfahrung ist für die Natur des Bewusstseins nicht bedeutungslos – sie
ist
das Bewusstsein.
Geist in der Zeit
Geist reicht zeitlich und räumlich über das Gehirn hinaus. Mit der Vergangenheit sind wir durch Erinnerungen und Gewohnheiten verbunden, mit der Zukunft durch Wünsche, Pläne und Absichten. Sind diese Erinnerungen und virtuellen Zukunftsprojektionen jetzt und in materieller Form im Gehirn präsent, oder ist der Geist über nichtmaterielle »Links« mit Vergangenheit und Zukunft verbunden?
Aus konventioneller Sicht müssen Erinnerungen und Vorhaben tatsächlich jetzt in unserem Gehirn sein – wo sonst? Die Computermetapher bekräftigt diesen Gedanken. Das »Gedächtnis« eines Computers befindet sich in beweglichen oder unbeweglichen physischen Speichersystemen, es handelt sich um gegenwärtig vorhandene materielle Gebilde oder Muster. Und nicht nur das Gedächtnis eines Computers liegt physisch in der Gegenwart vor, das Gleiche gilt auch für seine programmierten »Ziele«. Vergangenheit und Zukunft sind physisch gegeben. Und ähnlich, so die Theorie, müssen Erinnerungen, Ziele, Pläne und Intentionen physisch im Gehirn vorhanden sein.
Die Annahme, dass Erinnerungen materiell im Gehirn gespeichert sind, haben wir im vorigen Kapitel erörtert. Ebenso fragwürdig ist jedoch der Glaube, Zielvorstellungen für die Zukunft müssten ebenfalls in materieller Form im Gehirn vorliegen. Sie existieren in einem Möglichkeitsraum, sie sind virtuelle Zukunft. Möglichkeiten haben keine Materie. Die quantenphysikalische Wellenfunktion, die das mögliche Verhalten von Elektronen und anderen Teilchen beschreibt, ist ein mathematisches Modell in einem vieldimensionalen Raum aus »komplexen Zahlen«, zu denen auch eine imaginäre Zahl gehört, nämlich die Quadratwurzel aus – 1 . Die Wellenfunktion bildet mögliche künftige Zustände des Systems als Wahrscheinlichkeiten ab. Wenn ein Quantenteilchen wie zum Beispiel ein Elektron in eine konkrete Wechselwirkung mit einem physikalischen System eintritt, zum Beispiel im Rahmen einer Messung im Labor, »kollabiert« die Wellenfunktion zu einer einzigen der vielen theoretischen Möglichkeiten. Viele Möglichkeiten reduzieren sich auf ein objektiv beobachtbares Faktum, und das Gleiche geschieht, wenn ein Mensch unter mehreren Möglichkeiten eine wählt und entsprechend handelt. Die Wellenfunktion selbst hat jedoch nichts Materielles; sie ist eine mathematische Beschreibung von Möglichkeiten.
Geist und Materie sind, wie wir von Alfred North Whitehead gehört haben (Kapitel 4 ), weniger als Prozesse im Raum denn als Prozesse in der Zeit miteinander verbunden. Das Subjekt wählt unter möglichen Zukunftsvarianten, und die geistige Kausalität fließt dann von der möglichen Zukunft zur Gegenwart. Zukunft und Vergangenheit sind beide immateriell, doch beide wirken über Erinnerungen, Gewohnheiten und Entscheidungen auf die Gegenwart ein.
Nach der Hypothese der morphischen Resonanz kommen ähnliche Prozesse auf jeder Organisationsebene vor, und das betrifft auch die biologische Morphogenese. Ein Karottensame entwickelt sich zu einer Karottenpflanze und wird dabei von einem morphogenetischen Feld geformt, das über morphische Resonanz von früheren Karottenpflanzen vererbt wird. Solche morphogenetischen Felder enthalten die Attraktoren und Chreoden, die die Entwicklung zur Form der ausgewachsenen Pflanze »kanalisieren« (siehe Kapitel 5 und 6 ). Weder ererbte Gewohnheiten noch in der Zukunft liegende Ziele sind in materieller Form in der Pflanze vorhanden; vielmehr sind sie Muster zielgerichteter Aktivität. Im gleichen Sinne sind weder Erinnerungen noch Zielvorstellungen im Gehirn enthalten, wenngleich sie die Gehirntätigkeit beeinflussen.
Unsere geistigen Prozesse sind größtenteils Gewohnheit und zudem unbewusst. Bewusste geistige Prozesse drehen sich überwiegend um mögliche Aktionen, wozu auch das Sprechen zu
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