Der Wissenschaftswahn
vermutlich könnten Sie nur wenig davon wortwörtlich zitieren.
Das Kurzzeitgedächtnis gibt uns die Möglichkeit, die Elemente unserer gegenwartsnahen Erfahrung sowohl miteinander als auch mit früheren Erfahrungen zu verknüpfen. Was nicht verbunden wird, gerät in Vergessenheit. Das Kurzzeitgedächtnis wird gern mit dem Arbeitsspeicher eines Computers verglichen; es ist von begrenzter Kapazität und kann nur mit fünf bis höchstens neun Inhalten gleichzeitig umgehen. In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wies der Neurowissenschaftler Donald Hebb darauf hin, dass Kurzzeiteindrücke von weniger als einer Minute Dauer wahrscheinlich nicht chemisch gespeichert werden. Er vermutete, dass sie in so etwas wie elektrischen Schwingkreisen bewahrt wurden – womit vielleicht eine Art Resonanz angesprochen ist.
Beim räumlichen Erinnerungsvermögen, beispielsweise der Erinnerung an die Raumaufteilung eines bestimmten Hauses, sind die Zuordnungen an Körperbewegungen gekoppelt – zum Beispiel wie man einen Gang entlanggeht und eine Treppe hinaufsteigt, um in ein bestimmtes Zimmer zu gelangen.
Mnemotechnik oder Mnemonik – die Prinzipien, nach denen wir uns etwas einprägen und wieder in Erinnerung rufen – waren schon im Altertum bekannt und gehörten zum Studium der Rhetorik. Es wurden Techniken vermittelt, nach denen man Verbindungen herstellen kann, die es einem erleichtern, sich an die wichtigen Inhalte zu erinnern. [373] Wo solche Verknüpfungen sprachlich hergestellt werden, kommen wir zu den »Eselsbrücken«, bei denen es darum geht, einen Lerninhalt mittels einprägsamer oder gereimter Sprüche zu verankern, etwa » 3 - 3 - 3 , bei Issos Keilerei«. Andere Ansätze sind räumlicher Natur und bedienen sich visueller Vorstellungen. Bei der Lokalisationsmethode beispielsweise prägt man sich zunächst eine Folge von Örtlichkeiten ein, etwa die Zimmer und Schränke des eigenen Hauses. Jeder Gegenstand, den man sich einprägen möchte, wird dann an einem dieser Orte visualisiert, und um sich alles wieder in Erinnerung zu rufen, schreitet man innerlich diese Stellen im Haus ab, um die Dinge dort eines nach dem anderen vorzufinden. Die modernen Methoden des Gedächtnistrainings, wie sie in Illustrierten angepriesen werden, sind die neuesten Ausprägungen dieser langen und vielgestaltigen Tradition. [374]
Das räumliche Gedächtnis wird, wie bereits erwähnt, bei vielen Tierarten vom Hippocampus bestimmt, und die Hirntätigkeit in dieser Region und anderen scheint für die Verknüpfung der zu erinnernden Inhalte wichtig zu sein. Nach gängiger Lehrmeinung liegen Gedächtnisinhalte, die angelegt und später abgerufen werden, als dauerhafte Spuren vor, auch wenn bisher noch keine solchen Spuren entdeckt wurden. Die Resonanzhypothese bietet eine viel einfachere Erklärung. Die Verknüpfungen, die bei der Bildung von Gedächtnisinhalten angelegt werden, sind mit rhythmischen Mustern von Gehirnaktivität assoziiert. Abgerufen werden die Erinnerungen aufgrund von morphischer Resonanz durch ähnliche Aktivitätsmuster. Sie sind nicht als Spuren im Gehirn gespeichert.
Was könnte daraus folgen?
Ich finde, es ist ein deutlicher Unterschied, ob ich mich auf meine Erinnerungen durch Resonanz einstimme oder sie mit der Hilfe ungeklärter molekularer Mechanismen aus Speichern in meinem Gehirn abrufe. Resonanz leuchtet mir eher ein und entspricht meiner Erfahrung. Im Übrigen spiegelt sie auch den Stand der Forschung besser, demzufolge sich Erinnerungsspuren bislang als unauffindbar erwiesen haben.
In der Forschung zu dieser Hypothese würde man sich nicht mehr so sehr auf das molekulare Geschehen in Nervenzellen konzentrieren, sondern das Augenmerk mehr auf die Verfügbarkeit von Erinnerungen durch Resonanz legen. Damit würde sich auch die Frage nach dem kollektiven Gedächtnis stellen, das C. G. Jung als das kollektive Unbewusste beschrieb.
Sollte sich herausstellen, dass beim Lernen sowohl Resonanz mit dem Lehrer als dem Vermittler einer Fähigkeit als auch Resonanz mit allen früheren Lernenden der gleichen Inhalte besteht, könnte man die Lehrmethoden gezielt durch Verstärkung der Resonanz verbessern und so das Lehren und Lernen schneller und effektiver gestalten.
Aus der Resonanztheorie des Gedächtnisses ergibt sich auch eine religiöse Frage. Alle Religionen gehen selbstverständlich davon aus, dass irgendetwas am Menschen den Tod des Körpers überlebt. Hindus und Buddhisten glauben an Wiedergeburt in
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