Der Wissenschaftswahn
möglich.« [427]
Seither hat sich nicht viel geändert. Obwohl immer mehr Anhaltspunkte dafür sprechen, dass es Telepathie, Präkognition und andere Phänomene dieser Art tatsächlich gibt, bleiben die Materialisten bei ihrer Einschätzung, dergleichen sei unmöglich und die parapsychologische Forschung ihrer Natur nach unwissenschaftlich. Der Sozialpsychologe und standhafte Skeptiker James Alcock erklärte 2010 :
Die parapsychologische Forschung geht nicht von wissenschaftlicher Theorie oder von anomalen Befunden der eigentlichen Wissenschaft aus. Ihr Antrieb liegt vielmehr in den Überzeugungen der an dieser Forschung Beteiligten, nämlich dass der Geist mehr sei als ein epiphänomenales Abbild des physischen Gehirns und dass er die sonst von Raum und Zeit gesetzten physikalischen Grenzen transzendieren könne. Dieser Glaube an die Möglichkeit solcher Unmöglichkeiten trägt die gesamte Parapsychologie und macht sie relativ immun gegen die »Pfeil’ und Schleudern« der (zugegebenermaßen mitunter »wütenden«) Kritik. [428]
Dazu passt vielleicht die Geschichte von einem gewitzten englischen Geistlichen namens Sydney Smith. Es war um 1800 , als er einmal mit einem Freund durch eine schmale Gasse ging und über ihm zwei Frauen aus gegenüberliegenden Fenstern lehnten und lauthals aufeinander einschimpften. »Die Damen werden wohl zu keiner Einigung kommen«, befand Smith, während über ihm das Wortgefecht tobte, »sie argumentieren von unterschiedlichen Standorten aus.« [429]
Der materialistische Standpunkt ist der, dass man die Natur des Geistes als im Prinzip verstanden ansehen kann: Geistiges Geschehen ist Gehirnaktivität und findet im Kopf statt. Daher sind übersinnliche Phänomene unmöglich. Die parapsychologische oder Psi-Forschung geht demgegenüber davon aus, dass übersinnliche Phänomene möglich, aber noch unverstanden sind. Mehr kann man nur über sie in Erfahrung bringen, wenn man sie weiter erforscht.
Diese sehr unterschiedlichen Voraussetzungen finden sich in dem Begriffspaar »normal-paranormal« wieder. Übersinnliche Phänomene sind insofern normal, als sie häufig vorkommen, etwa wenn wir jemanden durch Blicke von hinten veranlassen, sich umzudrehen, oder wenn das Telefon zum Medium telepathischer Kontakte zu werden scheint (dazu weiter unten mehr). Aber weil sich Erlebnisse dieser Art nicht in die materialistische Geist-im-Gehirn-Theorie einfügen, werden sie als »paranormal« bezeichnet, was so viel wie »außernormal« oder »neben der Normalität« besagen soll. Normal ist hier freilich anders definiert, nämlich nicht nach der Tatsächlichkeit des Vorkommens, sondern nach den Voraussetzungen, von denen die Materialisten ausgehen.
Im gleichen Sinne bedeutet »Parapsychologie«, dass man sich darin irgendwie »neben« oder »außerhalb« der anerkannten Psychologie befindet. Ich finde diese Begriffswahl etwas unglücklich und spreche stattdessen lieber von Psi-Forschung. Wenn es Psi-Phänomene gibt, und das glaube ich, sind sie normal und nicht paranormal, natürlich und nicht übernatürlich. Sie gehören zur menschlichen Natur und zur Tiernatur und können wissenschaftlich untersucht werden.
Skeptiker sagen gern, dass »außergewöhnliche Behauptungen außergewöhnlicher Beweise bedürfen«, und auch hier liegen wieder die Annahmen des Materialismus zugrunde. Das Gefühl, angestarrt zu werden, und andere telepathische Vorkommnisse sind absolut gewöhnlich – die meisten Menschen haben so etwas schon erlebt. Sie sind nicht außergewöhnlich oder gar außerordentlich, das heißt »außerhalb der gewohnten Ordnung stehend«. [430] So gesehen ist eher der Standpunkt der Skeptiker außergewöhnlich und außergewöhnlicher Beweise bedürftig. Wo ist der außergewöhnliche Beweis dafür, dass die meisten Menschen ihre eigene Erfahrung völlig falsch auffassen? Da ziehen sich die Skeptiker dann auf sehr allgemeine Argumente zur Fehlbarkeit des menschlichen Urteilsvermögens – sprich: des Urteilsvermögens der
anderen
– zurück.
Ich betrachte in diesem Kapitel die bisherigen Forschungen über Telepathie und Vorauswissen (Präkognition) beziehungsweise Vorahnungen. Um die Darstellung überschaubar zu halten, lasse ich die beiden anderen Hauptgebiete der Psi-Forschung hier weg: Hellsichtigkeit, die manchmal auch Fernwahrnehmung genannte Fähigkeit, etwas weit Entferntes zu sehen oder auf andere Art wahrzunehmen; und Psychokinese, also das Einwirken des Geistes auf materielle
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