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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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privaten Krankenversicherungen sind ähnlich mechanistisch ausgerichtet.
    In diesem Kapitel werde ich über die Stärken und Grenzen der mechanistischen Medizin sprechen. Ihre Stärken kann sie ausspielen, wenn sie sich mit den natürlichen Widerstands- und Selbstheilungskräften des Körpers verbündet, über die alles Lebendige und folglich auch der Mensch verfügt. Der mechanistische Ansatz kann dank Pharmazie und chirurgischen Verfahren auf spektakuläre Heilerfolge verweisen. Da er jedoch die Kraft des Geistes nicht berücksichtigt und folglich nicht nutzt, steht er der Heilwirkung von Überzeugungen, Erwartungen, menschlichen Beziehungen und religiösen Anschauungen hilflos gegenüber. Und das obwohl die Bedeutung des »Glaubens« gerade in der medizinischen Forschung selbst immer wieder deutlich wird, nämlich im Placeboeffekt. Den Abschluss dieses Kapitels werden Überlegungen zu einem weniger ausschließlichen, das heißt ganzheitlicheren Gesundheitsdenken bilden.
    Ich werde dabei historisch vorgehen, weil ich glaube, dass wir den gegenwärtigen Stand der Dinge so am besten verstehen können. So lässt sich auch gut unterscheiden, welche Anteile der Medizin auf dem materialistischen Weltbild beruhen und welche sich einem ganz pragmatischen Vorgehen verdanken, das sich an keine bestimmte Naturphilosophie gebunden fühlt.

Natürliche Widerstandsfähigkeit und Selbstheilungskraft
    Um ein beliebiges medizinisches System in seiner relativen Bedeutung zu sehen, müssen wir bedenken, dass sich Tiere und Pflanzen nach Verletzungen regenerieren, dass sie sich selbst heilen und Infektionen abwehren, seit es Leben auf der Erde gibt. Alle, die wir heute leben, stammen von menschlichen und tierischen Vorfahren ab, die über Jahrhundertmillionen vor dem Auftreten von Ärzten überlebt und sich vermehrt haben. Wir wären alle nicht hier, hätten unsere Vorfahren nicht die Fähigkeit besessen, Krankheiten abzuwehren und sich selbst zu heilen. Die Medizin vermag diese Fähigkeiten zu unterstützen und zu stärken, aber sie kann das nur auf einer Grundlage, die sich durch stetige natürliche Auslese im Verlauf der Evolution herausgebildet hat.
    Selbstheilung und Regeneration – es gibt kaum eine Lebensform, bei der wir diese Kräfte nicht vorfinden. Wenn Pflanzen beschädigt oder von Krankheiten befallen werden, versiegeln viele die verletzte Stelle und lassen neues Gewebe wachsen. Kleine Pflanzenteile, etwa einer Weidengerte, können zu vollständigen neuen Pflanzen heranwachsen. Auch viele Tiere besitzen diese Fähigkeit in erstaunlichem Maße. Wenn man einen Plattwurm in kleine Stücke schneidet, kann aus jedem Abschnitt ein ganzer neuer Wurm werden. Schneidet man einem Wassermolch ein Bein ab, sprießt ein neues; entfernt man seine Augenlinse, bildet sich vom Rand der Iris aus eine neue. [481] Auch beim Menschen bildet sich die Haut nach einer Verletzung neu, die Leber besitzt eine hohe Regenerationsfähigkeit, Darmschleimhaut und Blutzellen werden ständig ersetzt (siehe Kapitel 5 ).
    Auch ein Immunsystem mit seinen Abwehrreaktionen finden wir so gut wie überall vor. Bakterien können gegen eindringende Viren mit Enzymen vorgehen, das Immunsystem der Pflanzen erkennt schädliche Organismen und reagiert mit der Produktion von abtötenden oder wachstumshemmenden Stoffen. [482] Bei wirbellosen Tieren wie den Insekten attackiert das Immunsystem eindringende Organismen und tötet sie ab. Das Immunsystem der Wirbeltiere geht noch darüber hinaus und merkt sich bestimmte Krankheitserreger, um dann beim nächsten Befall einen noch stärkeren Gegenschlag führen zu können.
    Menschen wissen schon sehr lange, dass eine durchgestandene Krankheit Immunität gegen diese Krankheit erzeugen kann. Thukydides war vielleicht der Erste, dem während der Pest in Athen im Jahr 430 v. Chr. auffiel, dass Überlebende der Krankheit die Befallenen versorgen konnten, ohne sich erneut anzustecken. [483] Von solchen Beobachtungen ausgehend, haben Araber und Chinesen seit mindestens sechshundert Jahren vereinzelt gegen die Pocken geimpft, indem sie den Menschen den Inhalt von Pockenblasen verabreichten, den sie bei Patienten mit mildem Verlauf der Krankheit entnahmen. Die meisten der so Geimpften machten dann ebenfalls eine milde Form der Krankheit durch und blieben fortan verschont, wenn die Pocken wieder einmal grassierten. [484]
    Lady Mary Wortley Montagu, die Frau des britischen Gesandten in Istanbul, impfte 1718 ihre eigenen Kinder auf diese

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