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Der Wohlfahrtskonzern

Der Wohlfahrtskonzern

Titel: Der Wohlfahrtskonzern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl - Lester del Rey
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Explodieren verließ ich die Wöchnerinnenabteilung. Konnten diese Leute denn nicht begreifen, daß wir ihnen halfen? Es hatte nicht den Anschein. Nur die Schwerverletzten, die radioaktiv Verseuchten, die Amputierten und jene, die unter Narkose waren, versuchten nicht mit mir zu streiten, meistens deshalb, weil sie gar nicht dazu in der Lage waren.
    Die meisten von ihnen waren auf dem Weg in die Gewölbe, wie ich feststellte. Meine Arbeit bestand darin, ihre Policen durchzusehen und für die Desaktivierung bereitzustellen. Es gibt unausweichlich immer wieder einige Leute, die versuchen, aus allem einen Vorteil zu ziehen. Hier war die Ruhestandsklausel des Grundkontrakts die Hintertür. In Anbetracht der Tatsache, daß das legale Rentenalter der umfassenden Blauer-Himmel-Police fünfundsiebzig Jahre – Ka lenderjahre, nicht physiologische – betrug, gab es eine Men ge von Kranken, die für einige Jahre in die Gewölbe wollten – aus Gründen, die nichts mit ihrer Gesundheit zu tun hatten. Sie könnten – so dachten sie – zwei oder drei Jahrzehnte in den Gewölben verschlafen, um dann in einem physischen Alter von etwa vierzig Jahren wieder zum Vorschein zu kommen und den Rest ihres Lebens munter und fröhlich auf Kosten der Gesellschaft zu verbringen. Sie machten sich natürlich keine Gedanken darüber, daß die Gesellschaft ganz einfach nicht in der Lage sein würde, ihre Renten zu zahlen, falls solche Praktiken überhandnahmen. Und sie bedachten selbstverständlich auch nicht – oder es kümmerte sie zumindest nicht –, daß die Welt, so wie wir sie kannten, am Ende war, falls die Gesellschaft bankrott ging.
    Es war ein heikles Problem. Wir konnten ihnen einerseits medizinische Hilfe nicht verweigern, es ihnen aber andererseits auch nicht gestatten, in die Gewölbe zu gehen, solange es sich nicht entweder um eindeutig dringende Fälle handelte, oder sie bereit waren, einen Prolongations- und Verzichtsanspruch zu ihren Policen zu unterschreiben.
    Davon sah ich an jenem Nachmittag eine Menge. Die Fälle mit radioaktiver Vergiftung waren die schlimmsten, weil sie immer noch reden und diskutieren konnten.
    Und sie hörten nicht auf zu jammern, selbst dann nicht, als sie mit den Verlangsamern und den anderen Drogen vollgepumpt wurden, selbst dann nicht, als sie mit eigenen Augen sehen konnten, wie die Anzeige der Blutsenkung weiter und weiter abfiel, sie jammerten immer noch darüber, daß man ihnen die Verzichtserklärung vorgelegt hatte. Manche hatten sogar Angst vor den Gewölben selbst, obwohl doch sicher jeder Mensch den Aufklärungsfilm der Gesellschaft gesehen hatte, in dem gezeigt wurde, wie die injizierten Drogen die Lebensprozesse allmählich verlangsamten und die zerstörerischen Enzyme des Körpers selbst hemmten, wie der scheinbar leblose Körper, bis zur Temperatur der ihn umgebenden Luft abgekühlt, in einen hermetisch schließenden Plastiksack gesteckt und, Reihe an Reihe, tief unter der Erde aufbewahrt wurde, wo er dann über die Monate, Jahre oder sogar, falls nötig, Jahrzehnte hinweg schlafen konnte. Zeit bedeutete den Suspendierten nichts. Es war kaum vorstellbar, daß man sich vor einem derart einfachen und natürlichen Vorgang fürchten konnte.
    Obwohl ich zugeben mußte, daß die Gewölbe doch sehr wie Leichenschauhäuser aussahen …
    Es machte keinen Spaß. Ich dachte weiter an Marianna. Sie hatte sich auch vor den Gewölben gefürchtet, in der kindlichen, weiblichen Unlogik, die für sie typisch war. Als die Techniker vom Blauen Generalschirm ihr die Diagnose Leukämie eröffneten, hatten sie auch gleich eine todsichere Heilmethode vorgeschlagen; sie sollte in die Suspension, während langsam wirkende Drogen, die besonders aufbereitet worden waren, um auch unter diesen extremen Bedingungen zu arbeiten, ihre Heilarbeit vollzogen. Aber sie hatte sich geweigert. Sie gaben zu, daß es eine 99,9prozentige Heilchance ohne Suspendierung gab …
    Wie es sich aber treffen sollte, gehörte Marianna gerade zu dem verlorenen Zehntel eines Prozents, das starb.
    Ich konnte sie nicht aus meinen Gedanken vertreiben. Die Fälle, die protestierten oder jammerten und weinten oder versuchten, Einwände geltend zu machen, halfen da gar nichts. Ich war froh, als der Nachmittag vorbei war und ich zum Büro zurückkehren konnte.
    Als ich durch die Tür trat, traf Gogarty auch gerade ein; er kam direkt vom Friseur eine Treppe tiefer. Er war frisch rasiert und strahlte.
    »Büroschluß, Tom«, sagte er

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