Der Wolf
bemerken, warf einen Blick darauf, glich das Foto mit ihrem Gesicht ab und reichte ihn ihr zurück.
»Wir haben das Haus schon überprüft«, sagte er. »Wir haben einen zweiten Streifenwagen da oben. Würden Sie mir bitte folgen?« Die Frage klang eher wie ein Befehl.
Karen gehorchte. Tatsächlich stand vor ihrer Garage ein zweites Auto der Polizei. Darin saßen zwei Beamte – eine nervös wirkende junge Frau, eine Hand am Kolben ihrer Neun-Millimeter-Pistole, und ein wesentlich älterer Mann, dem sich graue Haarbüschel um den Rand seiner Dienstmütze kringelten.
Erst beim Aussteigen merkte Karen, dass sie weiche Knie hatte, und sie fürchtete zu stolpern und der Länge nach hinzufallen oder aber vor Angst nur noch ein Krächzen herauszubringen.
»Hallo, Doktor«, begrüßte sie der alte Polizist in aufmunterndem Ton. »Ein Glück, dass Sie nicht früher nach Hause gekommen sind.«
»Glück?«, fragte Karen. Mehr als das eine Wort brachte sie nicht heraus.
»Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Er führte Karen an der Haustür vorbei – die sperrangelweit offen stand – zu einem angrenzenden Fenster. Der Einbrecher hatte es offenbar eingeschlagen, und die Scherben lagen über den Boden verstreut.
»Hier ist er rein«, sagte der Polizist. »Als dann das Telefon klingelte – das macht die Sicherheitsfirma, sie rufen bei dem Eigentümer an, und falls er rangeht, fragen sie ihn nach einem Code, aber wenn sich nach vier Mal Klingeln niemand meldet, rufen sie bei uns an –, na, jedenfalls, das Telefon klingelt, der Einbrecher sieht die Anruferkennung, gerät in Panik, schnappt sich vielleicht noch schnell irgendwas, rennt zur Haustür raus und verschwindet, so schnell er kann, im Wald oder zu seinem Wagen. Wir haben nur ein paar Minuten gebraucht, bis wir hier waren, aber da war er schon über alle Berge und …«
»Wie viele Minuten?«, unterbrach ihn Karen. Ihre Stimme wirkte blass, als könnten Worte ihre Farbe verlieren.
»Vielleicht fünf, allerhöchstens zehn. Wir waren schnell. Einer von unseren Jungs war zufällig gerade drüben auf der Hauptstraße und hat Raser geblitzt, als der Anruf bei uns einging. Er hat sofort gewendet und ist mit Signalleuchte und Sirene hierher gekommen.«
Karen nickte.
»Ich hab schon jemanden angerufen, der Ihnen das Fenster repariert. Hoffe, das ist Ihnen recht. Wir haben im Revier eine Liste mit ein paar Handwerkern, von denen wir wissen, dass sie rund um die Uhr kommen.«
»Ja, das ist mir recht.«
»Der müsste jeden Moment da sein. Ihre zerbrochene Scheibe reparieren und Ihre Alarmanlage wieder instand setzen. Aber solange wir auf ihn warten, würden wir Sie bitten, im Haus nachzusehen, was der Kerl hat mitgehen lassen, bevor er geflüchtet ist. Sie wissen schon, wegen der Versicherung und so. Wenn Sie Ihren Schadensersatz geltend machen, wollen die immer so viel wie möglich im Polizeibericht sehen.«
Wieder nickte Karen. Ihr fiel keine Antwort ein. Ihr kreiste zu viel auf einmal durch den Kopf:
Es war der Wolf.
Nein, dafür war es viel zu ungeschickt. Er würde es raffinierter anstellen. Klüger.
Wieso aber sollte jemand anders einbrechen? So ein Zufall wäre äußerst unwahrscheinlich.
War er da, um mich zu ermorden?
Sie wusste nicht, was sie zu dem Polizisten sagen sollte, und so ging sie langsam durch ihr Haus und suchte nach irgendeinem Zeichen dafür, dass etwas fehlte. Doch abgesehen von den Scherben unter dem zerbrochenen Fenster konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken. Fast sah es so aus, als hätte der Einbrecher augenblicklich kehrtgemacht.
Das kann nicht der Wolf gewesen sein. Er würde nicht mit leeren Händen gehen. Und er hätte gewusst, dass ich nicht da bin.
Dicht gefolgt von dem Polizisten, schritt sie ihre Räume ab, sah in jedem Schrank nach, öffnete jede Tür, knipste jeden Lichtschalter an. Es fehlte nichts. Was sie nur noch mehr verwirrte.
Mitten in ihrer Bestandsaufnahme tauchte ein etwa vierzigjähriger Techniker von Smith 24 Hours Glass Repair auf und machte sich sofort daran, eine neue Scheibe einzusetzen. Der Handwerker hatte die Polizisten wie Verwandte begrüßt, was sie womöglich auch waren.
»Und?«, fragte der grauhaarige Beamte Karen.
»Nichts. Soweit ich sehen kann, ist alles da, wo es hingehört.«
»Suchen Sie weiter«, sagte der Polizist. »Manchmal sieht man es nicht auf den ersten Blick. Es ist nicht immer der Breitbildfernseher, den sie aus der Wandhalterung reißen. Hatten Sie irgendwo Bargeld
Weitere Kostenlose Bücher