Der Wolf
am Ende nicht ganz befriedigt oder gar frustriert, ist das Letzte, was du willst.
Also kalkuliert der umsichtige Mörder Probleme ein und setzt alles daran, sie zu vermeiden. Und jede Wahl birgt irgendeine Gefahr. Zum Beispiel OP -Handschuhe. Du willst ein Messer benutzen? Eine gute Wahl, aber risikobehaftet. Diese Handschuhe gehören dann jedenfalls zur Grundausstattung.
Einige Minuten lang bereiteten ihm diese Worte Kopfzerbrechen. Er hatte Bedenken, dass sein Ton ein wenig zu vertraulich geraten war und dass er seine künftige Leserschaft zu direkt ansprach. Er fragte sich, ob er die letzten Abschnitte umformulieren sollte. Ganz besonders John Gardner, aber auch Stephen King ließen sich lang und breit über die sorgfältige Planung aus und hielten eine Menge davon, einen Text gegebenenfalls umzuschreiben. Aber nicht, hielt er dagegen, auf Kosten der Spontaneität! Die wird dafür sorgen, dass die Leser in die Buchläden strömen. Sie sollen wissen, dass sie mir auf Schritt und Tritt über die Schulter schauen.
Rote Eins. Rote Drei.
Er wirbelte herum, rollte zu seinem Bücherregal und strich mit dem Finger über die Buchrücken, die sich dort aneinanderreihten. Auf dem dritten Fach, das er durchging, fand er, was er suchte: die Erinnerungen des Journalisten Tom Wicker über den blutig niedergeschlagenen Aufstand im Gefängnis Attica:
Zeit zu sterben.
Er überflog die ersten Seiten, bevor er die Stelle fand, um die es ihm ging. Es war das Bedauern des Verfassers darüber, dass er bei allem Erfolg und aller Anerkennung als Reporter und Schriftsteller in seinen eigenen Augen wenig getan hatte, um seinem Leben einen »Sinn« zu verleihen.
Er lachte lauthals.
Das ist bestimmt nicht mein Problem.
Er wandte sich wieder seinem Computer zu und schrieb fieberhaft.
Ich bin in die Materie eingedrungen. Ich habe tiefe Einblicke gewonnen. Ich habe genau beobachtet. Ein Mörder ist wie ein Psychologe und Liebhaber zugleich. Man muss seine Zielperson genauestens kennen. Rote Eins ist am schutzlosesten auf dem Weg von ihrer Haustür bis zu der Stelle, an der sie ihren Wagen abstellt. Der Abend eignet sich besser als der Morgen, denn wenn sie nach Hause kommt, hat sie Angst vor dem, was sie drinnen erwartet. Auf das Stück zwischen ihrem Auto (Sicherheit) und ihrer Haustür (möglicherweise Sicherheit, vielleicht aber auch Bedrohung) achtet sie nicht. Das war ein Nebeneffekt meines kleinen Einbruchs. Von jetzt an muss sie sich wohl oder übel darauf konzentrieren, was sie in ihren eigenen vier Wänden erwartet. Wie Rotkäppchen wird sie drinnen mit mir rechnen. Zwischen dem Wagen und dem Eingang sind es keine sechs Meter. An der Haustür brennt helles Licht, das sich abends, bevor sie eintrifft, einschaltet. Sie hat eine Zeitschaltuhr. Behalte das im Auge! Wenn ich diese Außenlampe zerstöre, um mir zusätzlich Deckung zu verschaffen, schöpft sie am Ende noch Verdacht. Vielleicht steigt sie dann gar nicht erst aus, sondern wendet auf der Stelle und braust davon. Nein, auch wenn es für mich weniger schattige Winkel gibt, in denen ich mich verstecken kann, muss ich dieses Licht anlassen.
Er hörte zu schreiben auf und rief sich ins Gedächtnis: Der Wolf schleicht sich aus dem Wald an. Sie wird mich nicht kommen sehen.
Das größte Problem besteht tatsächlich darin, wie viel Zeit zwischen den Morden liegt.
Er nahm seinen Faden wieder auf:
Auch Rote Drei ist abends besonders gefährdet, wenn sie allein über den Campus läuft. Doch die zweite Gelegenheit, bei der sie mir schutzlos ausgeliefert ist, ist dienstagmorgens. Da hat sie erst um 9 : 45 Unterricht. Für alle anderen Schüler in ihrem Wohnheim fängt er eine Stunde früher an. Dienstags schläft meine kleine Rote Drei ein bisschen aus, ohne zu ahnen, dass sie in diesem alten, kleinen Haus ganz allein ist, weil Mrs. Gonzales, die Vertrauenslehrerin im Wohnheim, an diesem Tag ebenfalls frühe Termine hat.
Rote Drei quält sich aus dem Bett und tappt, ziemlich verschlafen, mit Zahnbürste und Shampoo zur Dusche am Ende des Flurs. Während sie sich noch den Sand aus den Augen reibt, hat sie keine Ahnung, was sie dort erwartet.
Er schmunzelte und nickte. Und führte Selbstgespräche.
»Dann muss es also ein Dienstag sein: Rote Drei am Morgen und Rote Eins am Abend.«
Das gefiel dem Bösen Wolf. Eigentlich hätte es Morgen, Abend und Nacht sein sollen, was ihn frustrierte.
Rote Zwei hätte ich mir nach Mitternacht vorgenommen.
Doch daran war nun nichts mehr zu
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