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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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jemand, den Sie nicht allzu erfolgreich behandelt haben, einen psychotischen Schwager oder Cousin, der gerade aus dem Knast entlassen wurde. Denken Sie einfach nach. Normalerweise sieht der Bedrohte nicht, wer ihm das antut, obwohl er ihn vor der Nase hat; weil er ihm so was einfach nicht zutraut. Sie könnten sich natürlich auch einen Privatdetektiv nehmen und sehen, ob sich der Brief zurückverfolgen lässt – ist allerdings verdammt schwierig. Eine E-Mail – das eher. Aber ein altmodischer Brief? Selbst das FBI kommt da schon mal ins Schleudern. Erinnern Sie sich an diese Anthrax-Briefe? Oder den Unabomber? Das hat denen mächtig zu schaffen gemacht, trotz der modernsten technischen Mittel. Und hier in unserer kleinen Stadt haben wir natürlich nicht mal einen Bruchteil von deren Ressourcen und Personal. Was sag ich, nicht mal die Staatspolizei. Aber ich an Ihrer Stelle würde als Erstes diese Liste machen von Leuten, die vielleicht aus irgendeinem Grund sauer auf Sie sind, denn da könnte einer dabei sein, von dem Sie einfach keine Ahnung haben. Höchstwahrscheinlich läuft es darauf hinaus. Wenn Sie mir einen Namen geben, von mir aus auch zehn, also, ich hab kein Problem damit, da mal vorbeizuschauen und Klartext mit denen zu reden. Ihnen so richtig Feuer unterm Hintern zu machen, im Namen des Bundesstaates Massachusetts. Bis dahin …«
    »Sie meinen, die Drohung, jemanden umzubringen, ist kein Verbrechen, das Sie aufklären wollen?«
    »Ich werde einen Bericht schreiben, damit Ihre Meldung aktenkundig wird. Aber ehrlich gesagt, Frau Doktor, sind leere Drohungen an der Tagesordnung.«
    »In diesem Fall wirkt es nicht wie eine leere Drohung.«
    »Nein, aber wer kann das schon sagen? Wahrscheinlich ist es nichts.«
    »Ja«, sagte Karen. »Wahrscheinlich.«
    Sie legte auf. Oder doch, fügte sie stumm hinzu.
     
    Sarah Locksley zitterte, als sie langsam das kleine Büro ihres toten Mannes betrat. Es war ein schmaler Raum mit einem einzigen Fenster, an dem die Jalousien geschlossen waren, und einem verkratzten alten Eichenschreibtisch mit einem veralteten Computer darauf. Hier hatte er ihre Steuererklärung gemacht, ihre Rechnungen bezahlt und ab und zu an seinen Memoiren über die gefährlichen Monate zu Beginn des Irakkriegs geschrieben, in denen er Versorgungslaster und Schwermaschinen vom Flughafen nach Bagdad und zurück gefahren hatte. Von Anfang an hatten sie geplant, es in ein zweites Kinderzimmer umzufunktionieren, wenn sie wieder schwanger würde.
    An den Wänden hingen Hochzeitsfotos von ihnen beiden, spätere zu dritt oder von Sarah mit ihrer Tochter. Dann dieser Red-Sox-Wimpel, den mehrere Spieler nach der Meisterschaft von 2004 signiert hatten, und ein Bild von ihrem Mann mit seiner Einheit bei der Nationalgarde, das aus der Zeit seines Auslandseinsatzes stammte. Es gab noch ein paar Erinnerungsstücke und Fotos und diesen albernen Krimskrams, den man sammelt, weil man etwas Besonderes damit verbindet – eine rosa-orange bemalte Muschel mit einem großen Herzen in der Mitte, die sie ihm einmal als Scherz zum Valentinstag gekauft hatte; die Attrappe einer Fischtrophäe, die in blechernem Ton
Take Me to the River
sang und die vor ein paar Jahren ein Renner gewesen war; das maßstabsgetreue Modell eines schwarzen Turbo-Porsche auf dem Schreibtisch. Der war ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Eines Nachts hatte ihr erschöpfter Mann, nachdem sie sich beide stundenlang mit den Koliken ihres neugeborenen Babys abgequält hatten, Witze darüber gerissen, dass er in seinem Leben statt der typischen Utensilien väterlicher Fürsorge etwas völlig Unnützes, Verwegenes brauche – weshalb er sich einen Sportwagen kaufen müsse, vorzugsweise den teuersten und schnellsten auf dem Markt.
    Als er Monate später das Spielzeugauto aus dem bunten Geschenkpapier wickelte, hatte er gebrüllt vor Lachen.
    Seit dem Unfall, bei dem ihre Familie ums Leben kam, hatte sie den Raum nur zwei, drei Mal betreten und auch nicht darin verweilt, sondern nur schnell geholt, was sie brauchte, und die Tür hinter sich zugezogen. Dasselbe galt für das Zimmer ihrer Tochter direkt daneben. Beide Räume waren seit dem Tag, an dem sie starben, unverändert. Sarah wusste, dass trauernde Menschen das häufig machten, doch sie hatte regelrecht Angst davor, eines der Zimmer zu betreten, weil sie sich einbildete, die Stimme ihrer Tochter oder ihres Mannes in den dunklen Winkeln zu hören oder ihre Berührung auf der Haut zu spüren. Es

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