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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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konnte die Frage nicht beantworten, auch wenn sie vor ihrem geistigen Auge noch einmal jeden Schritt durchging, jede Taste des Sicherheitscodes drückte und sah, wie die Leuchtdiode von Rot auf Grün wechselte. Hatte sie das? Die Unsicherheit schnürte ihr den Hals zu. Sie hörte das Echo ihrer eigenen Stimme, die ihr Ratschläge zubrüllte und ihr wütend vorwarf, sich wie ein Esel zu benehmen. Raus mit dir. Zieh dich an. Sieh zu, dass du fertig wirst.
    Doch einen Moment lang blieb sie stocksteif stehen.
    Das Geräusch kam, nachdem ich die Alarmanlage ausgeschaltet hatte, dachte sie. Hat jemand darauf gewartet, dass diese Kontrollleuchten die Farbe wechseln?
    Diese Vorstellung machte ihr zusätzlich Angst. Ihr eigener, flacher Atem kam ihr laut vor, wie ein Krächzen, das die leiseren Geräusche eines anderen im Haus übertönte, so verzweifelt sie auch lauschte.
    Doch außer sich selbst hörte sie nur die Stille.
    Es kostete Karen einen gewaltigen Willensakt, aus der Dusche zu treten und sich ein Badetuch vom Haken an der Tür zu holen. Sie wickelte sich ein und lauschte erneut. Sie konnte immer noch nichts ausmachen.
    Trockne dich ab. Hol deine Kleider. Leg ein bisschen Make-up auf. Komm schon, so wie an jedem anderen Tag auch. Du bildest dir das ein. Deine Nervosität ist unbegründet. Das heißt, es gibt einen Grund, aber keinen realen.
    Sie wollte nicht im selben Moment aus der Dusche treten, in dem sie sich innerlich anherrschte, endlich aus der verdammten Dusche zu treten. Alles schien plötzlich voller Widersprüche zu sein.
    Das Wasser sammelte sich unter ihren Füßen zu einer Lache, und in einer gewaltigen Willensanstrengung, von der sie laut keuchte, trocknete sie sich zügig ab und fuhr sich mit einer kräftigen Bürste so schnell durchs zerzauste Haar, dass sie in einer normalen Situation vor Schmerz aufgeschrien hätte. Sie hörte auf.
    Das ist verrückt. Wieso kämme ich mir die Haare, wenn da draußen jemand darauf wartet, mich umzubringen?
Sie packte den Griff der Bürste, als wäre er ein Messerknauf, und hielt ihn wie eine Waffe fest. Dann trat sie hastig an die Badezimmertür. Sie konnte kaum der Versuchung widerstehen, einfach die Tür abzuschließen und zu warten, doch es war ein lächerlich schwaches Schloss, nur ein Verriegelungsknopf am Griff, der nicht einmal den schwächsten, dilettantischsten Eindringling abgehalten hätte.
    Bei der Erkenntnis erschrak sie.
    Sie wusste nicht, ob der Wolf ein raffinierter, mit allen Wassern gewaschener Krimineller war. Nachdem sie den Brief gelesen hatte, war sie davon ausgegangen, doch letztlich wusste sie es nicht.
    Karen konnte die Vorstellung nicht abschütteln, dass er hinter der Tür auf sie wartete und genauso wie sie angestrengt daran horchte.
    Eine konkrete Person konnte sie sich nicht ausmalen, nur gebleckte, leuchtend weiße Zähne. Ein Bild aus einem Märchen.
    Es ist eine Pattsituation, dachte sie.
    Im nächsten Moment wurde ihr klar, wie lächerlich sie sich benahm.
Es ist niemand da. Du spielst nur verrückt.
    Dennoch – trotz der Ermahnung an die eigene Adresse kostete es sie einen zweiten inneren Anlauf, die Tür zu öffnen und ins Schlafzimmer zu treten.
    Abgesehen von den beiden Katzen, die gelangweilt auf dem Bett ausgestreckt lagen, war niemand da.
    Sie horchte erneut. Nichts.
    So schnell und geräuschlos sie konnte, griff sie nach ihren Sachen und zog sich an. Slip. BH . Hose. Pullover. Sie schlüpfte in die Schuhe und stand auf. Angezogen fühlte sie sich schon besser.
    Sie trat an die Schlafzimmertür. Wieder blieb sie stehen, um zu horchen. Stille.
    Ihr drangen mehrere leise Laute ans Ohr: eine tickende Uhr; ein leises Kratzen, als eine der Katzen auf dem Bett die Stellung wechselte; ein fernes, mechanisches Geräusch, als die Heizung anging.
    Ihr eigener keuchender Atem.
    Sie stellte sich vor, dass völlige Lautlosigkeit irgendwie schlimmer gewesen wäre, auch wenn der Gedanke bei näherer Betrachtung absurd schien. Vollkommen absurd.
    Es ist verdammt noch mal mein Haus. Hol mich der Teufel, wenn ich …
    Sie führte den Gedanken nicht zu Ende, sondern nahm ihr Handy von der Kommode, klappte es auf und wählte die 911 . Ihr Finger schwebte über der Anruftaste.
    Auf diese Weise fühlte sie sich bewaffnet, und sie machte sich – das Handy gezückt – langsam auf den Weg durchs Haus. Küche – niemand. Diele – niemand. Wohnzimmer – niemand. Fernsehzimmer – niemand. So ging sie von einem Zimmer zum anderen, und

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