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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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obwohl es sie jedes Mal beruhigte, keinen Eindringling vorzufinden, wurde sie auch mit jedem Raum nervöser. Zuerst brachte sie es nicht über sich, Schranktüren aufzumachen. In einem Winkel ihres Bewusstseins rechnete sie damit, dass jemand herausspringen würde. Ihr Verstand wehrte sich gegen dieses Gefühl, und so riss sie in einer weiteren gewaltigen Willensanstrengung jeden Schrank auf, stieß aber nur auf Kleider, Mäntel und stapelweise ungeordnete Papiere.
    Sie versuchte, einem Geräusch auf die Spur zu kommen, eine rationale Erklärung für die Angst zu finden, die ihr in die Glieder gefahren war.
    Sie fand nichts. Irgendwie war das schlimmer.
    Als sie sich schließlich einigermaßen davon überzeugt hatte, dass sie allein war, kehrte sie in die Küche zurück und goss sich eine Tasse heißen Kaffee ein. Ihre Hand zitterte ein wenig. Was hast du gehört?
    Nichts. Vielleicht aber auch alles.
    Sie trank ihren Kaffee in großen Schlucken und ließ das Adrenalin, das ihr in den Ohren rauschte, allmählich verebben. Kann ein Brief ein Geräusch verursachen?, musste sie plötzlich denken. Eine anonyme Drohung?
    Es hätte sie nicht gewundert.
    In einem Aufruhr der Gefühle nahm Karen ihren Mantel und ging zum Wagen, um zur Arbeit zu fahren. In ihrer Angst und Ratlosigkeit vergaß sie das erste Mal, Katzenfutter nachzufüllen.

[home]
    7
    J ordan lief im ersten abendlichen Dämmerlicht über den Campus zur Bibliothek, einem roten Backsteinbau, dessen große Flachglasfenster helle Lichtkegel über den Rasen warfen. Die mächtigen Eichen und Pappeln, die über das ganze Gelände verstreut waren, wiegten sich in den plötzlichen Böen, Vorboten eines Wetterumschwungs, auch wenn man nicht sagen konnte, ob es besser oder schlechter werden würde.
    Wie die meisten Schüler, die nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs waren, lief sie zügig und beugte sich gegen den Wind ein wenig nach vorne, während sie von einer hell erleuchteten Stelle zur nächsten eilte, als lauerte auf den dunklen Pfaden dazwischen die Gefahr. Sie ertappte sich dabei, wie sie dachte, wahrscheinlich ist dem auch so. Trotzdem verlangsamte sie ihr Tempo, wie eine Maschine, die kaum noch Brennstoff hatte, und schließlich blieb sie stehen, drehte sich um die eigene Achse und sah sich um.
    Es war alles ganz und gar vertraut und fremd zugleich.
    Obwohl sie seit fast vier Jahren auf dem Campus lebte, fühlte sie sich hier nicht zu Hause.
    Es brannte Licht in den Wohnheimen – die sie alle namentlich aufzählen konnte. Durch die Fenster sah sie Schüler über ihre Lehrbücher gebeugt oder in Gespräche vertieft, die sie draußen nicht hören konnte. Sie erkannte Gesichter. Einzelne Gestalten. Hier und da eine laute Stimme, die scheinbar aus dem Nichts herüberhallte, in Wahrheit aber aus einem der Wohnheime durch das Rauschen der Bäume drang; die Stimme klang vertraut, auch wenn sie kein Gesicht damit verband. Auf den Wegen in ihrer Nähe waren Schritte zu hören, und sie konnte schemenhaft die dunklen Gestalten anderer Schüler sehen, die durch die abendliche Dunkelheit eilten. Einige der Büsche und Bäume schienen das Licht, das aus dem Hauptgebäude oder dem Bau mit den Kunsträumen kam, mit ihren wogenden Ästen und Zweigen aufzufangen, um es im nächsten Moment aufs Geratewohl über den Rasen zu werfen, als wollten sie Jordan mit ihren unvorhersehbaren Schatten foppen.
    Sie dachte an das ursprüngliche Märchen, in dem der Böse Wolf Rotkäppchen durch den Wald folgte.
    Er schleicht ihr gnadenlos nach, sieht jeden ihrer Schritte voraus. Er ist im Wald zu Hause, während sie zu dem einzigen sicheren Ort eilt, den sie kennt. Doch der Wolf nimmt ihr die einzige Hoffnung auf Rettung, indem er ihr im Haus ihrer Großmutter auflauert und sich als genau die Person ausgibt, der zuliebe sie sich in die Wildnis vorgewagt hat.
    Was sagt dir das?
    Sie stellte sich vor, dass der Mann, der sie zum Sterben ausersehen hatte, in jedem Schatten lauern konnte. Er konnte hinter jedem Baum stehen, er konnte sie von jedem dunklen Winkel aus oder im Schutz eines geschlossenen Fensters beobachten.
    Jordan lief hastig auf die Lichter der Bibliothek zu, während ihr die Angst wie Stromstöße durch den Körper fuhr.
    Dann blieb sie abrupt stehen.
    Wieder sah sie sich langsam um. Einerseits redete sie sich – wie im Refrain eines Kinderlieds – immer wieder ein, der Brief und die Drohung, die er enthielt, seien ein Streich, den ihr jemand spielte. Wenn dich so viele

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