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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Leute hassen, ist das die logischste Erklärung. Schüler drangsalieren am liebsten diejenigen, die besonders verwundbar sind. Trotz all der gut gemeinten Mobbingverbote und der ständigen Ermahnung zu freundlichem Umgang seitens der Schule herrschte unter der Oberfläche – dem idyllischen Bild fleißig lernender, Sport treibender, Theater spielender, Französisch oder Latein büffelnder Schüler, die auch noch Zeit für Naturerfahrungen oder den Filmclub fanden oder an den Wochenenden mit benachteiligten Kindern in Förderprogrammen arbeiteten – stets eine deutlich spürbare Spannung. Eifersucht, Wut, sexuelle Ausbeutung, Alkohol- und Drogenkonsum – all die Dinge, die Eltern Sorgen machten und sie dazu brachten, ihre Kinder hierher zu schicken, weil sie glaubten, hier wären sie davor sicher, gab es auch an ihrem Internat.
    Wieso dann nicht auch Mord?
    Jordan rührte sich nicht vom Fleck. Sie spähte in die sie umgebenden düsteren Winkel. Sie versuchte, Formen und Gegenstände auszumachen, doch im Dunkeln wirkten sie wie ungeordnete Puzzleteile. Jedes Teil besaß ein eindeutiges Gegenstück, jedes ergab zusammen mit anderen ein klares Bild, doch so waren sie ein heilloses Durcheinander.
    Eine Woge der Panik warf Jordan wie an Deck eines sturmumtosten Schiffs heftig hin und her. Der kalte Angstschweiß stand ihr auf der Stirn.
    Dann atmete sie langsam tief durch.
    Wie ein Tier, das fremde Witterung aufnimmt, hob sie den Kopf.
    Allein sein ist gut, hörte sie eine beharrliche innere Stimme. Auch wenn es gegen jede Vernunft zu sprechen schien, hielt sie daran fest. Sie redete sich innerlich gut zu, als unterhielte sich die Jordan, die durch die Dunkelheit lief, mit jener Jordan voller Angst und Zweifel.
    Wenn du es jemandem sagen, wenn du irgendwem von der Drohung erzählen würdest, bekämst du von ihnen lediglich zu hören, was sie an deiner Stelle machen würden. Dabei haben sie nicht die leiseste Ahnung, was richtig ist oder falsch. Und genau das will der Wolf vermutlich. Er will, dass du auf andere hörst – einen Freund, auch wenn du keinen hast, einen Lehrer, auch wenn du keinem traust, jemand von der Schulleitung, der sich mehr um das Ansehen der Schule als um dein Leben sorgen wird, oder deine Eltern, die nur für sich selbst Zeit haben und im Grunde fein raus wären, wenn der Wolf seine Drohung wahr machte und die Schlacht, die sie um dich führen, sich von selbst erledigt hätte.
    Tatsächlich huschte Jordan bei dem Gedanken ein gequältes Grinsen über die Lippen. Sie ließ den Blick schweifen und suchte jeden Winkel ab, sah bei jedem schemenhaften Umriss genauer hin. Allein im Wald, dachte sie. Nun ja, da liegst du richtig.
    Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung, während ihr ein Gedanke im Kopf widerhallte: Nur allein kannst du gewinnen.
    Ohne im Geringsten sicher zu sein, ob sie sich die These abkaufen sollte oder nicht, eilte Jordan auf die Lichter der Bibliothek zu. Sie hatte vor, an diesem Abend noch einiges nachzulesen. Nicht über Geschichte oder Physik oder Chemie, auch nicht Fremdsprachen wie all die anderen Schüler. Jordan hatte beschlossen, sich über Mord kundig zu machen. Es war ihr Glück, dachte sie, dass sie eine schnelle Auffassungsgabe besaß, und sie machte sich klar, dass sie in diesem Fach nicht versagen durfte.
     
    Der Böse Wolf war an diesem Morgen früh aufgestanden, um in den letzten Minuten, bevor die aufgehende Sonne in sein kleines Büro schien, noch ein wenig Arbeit zu erledigen. Dies war eine produktive Zeit. Die meisten Menschen, so glaubte er, erwachten lustlos und genervt von dem Gedanken an einen weiteren Tag seelenloser Routine und brauchten ein, zwei Tassen Kaffee, um die Dunstschleier in ihrem Kopf aufzulösen.
    Er nicht.
    Der Wolf sah dem neuen Tag mit Vorfreude entgegen, da er etwas geplant hatte, was in seinen Augen wahrhaft originell und verstörend war. Er fühlte sich energiegeladen und stellte sich vor, dass sich ein Sportler beim Warten auf den Anpfiff zu einem großen Spiel so fühlen musste. Mord inspirierte, wie er bereits angemerkt hatte, zu Sportmetaphern.
    Er hatte einen dichtbeschriebenen Bildschirm vor sich und war hoch konzentriert.
    Wie immer verbrachte er ein paar Minuten damit, seine Stellung in der Welt des gewaltsamen Todes zu reflektieren.
    Während er rasant in die Tasten hämmerte – fast einen Bewusstseinsstrom, auch wenn er diese Art zu schreiben verachtete, da er sie als faul und nachlässig empfand –, fühlte er sich

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