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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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mich ballern, und niemand würde mir Beachtung schenken. Ich bin unsichtbar geworden.
    Der Gedanke, die Probe aufs Exempel zu machen, hatte einen gewissen Reiz, doch stattdessen schloss sie, kaum dass sie im Haus war, die Tür hinter sich ab, hängte ihre dürftige, selbstgemachte Alarmanlage aus Dosen und Flaschen davor und begab sich erneut an den Computer.
    Ein zweiter Gedanke huschte ihr durch den Kopf: Ich bin für jeden unsichtbar – außer für einen.
    Sie hörte ihren eigenen keuchenden, gequälten Atem.
    Sarah beugte sich vor und drückte mit dem Lauf ihrer Waffe den »Play«-Pfeil. Ein weiteres Mal sah sie sich den kurzen Film an.
    Doch sie hob den Revolver und zielte auf die Bilder vor ihren Augen.
     
    Das YouTube-Video von Rote Eins begann genauso wie das von Rote Drei – mit einem schnellen Kameraschwenk durch eine Gruppe von Bäumen; die Filmsequenz erinnerte an ein Tier, das sich zügig durch vertrautes Gelände bewegte. Als Rote Eins dies zum ersten Mal sah, glaubte sie, dass es sich um das Wäldchen hinter ihrem Garten handelte. Das musste er sein, dachte sie. Ein erschreckender Gedanke. Dann ging das Video in eine Totalaufnahme von ihr selbst auf dem Hospizparkplatz über, wie sie nach einem Todesfall eine Zigarette rauchte und naiverweise glaubte, sie frönte ihrem gefährlichen Laster unbeobachtet und allein.
     
    Das YouTube-Video von Rote Zwei entsprach mit der schnellen Filmsequenz im Wald denen der anderen beiden. Ihres hingegen ging in eine Aufnahme durch ein Autofenster über, die auf dem Parkplatz eines großen Spirituosenladens entstanden war. Es war die örtliche Filiale einer großen Kette, die Rote Zwei nur zu gut kannte. Die Kamera blieb eine halbe Ewigkeit auf dieselbe Stelle gerichtet, bis Rote Zwei voll beladen mit Schnapsflaschen aus der breiten Glastür trat. Sie folgte ihr bis zu dem Moment, als sie in den Wagen stieg und auf einer vertrauten Straße schlingernd davonfuhr.
     
    Genau wie das Video von Rote Drei waren auch die beiden anderen Kurzfilme irgendwann im Laufe der letzten Monate entstanden. Das Wetter auf den Aufnahmen entsprach nicht dem trüben Frühwinter, in dem die drei Roten jetzt in der Falle saßen. Auf den Videos trugen die Bäume noch dichtes Laub. Auch die Kleidung kündete von einer anderen Jahreszeit.
     
    Am Ende verweilte jeder Kurzfilm in einem letzten Bild. Rote Eins erstarrte im Zigarettenrauch über ihrem Kopf. Rote Drei verschwand im Wohnheim, als würde sie von den abendlichen Schatten verschluckt. Rote Zwei jedoch bekam als Zugabe noch eine kleine Grausamkeit serviert. Nachdem ihr Wagen den Parkplatz der Spirituosenhandlung verlassen hatte, ging das Bild in ein anderes über, bei dessen Anblick Rote Zwei einen unartikulierten Klagelaut ausstieß: ein Friedhof, ein Grabstein. Zwei Namen, gefolgt vom selben Datum. Geliebter Ehemann. Geliebtes Kind. Tot.

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    12
    E s kostete Jordan große Kraft, sich den ganzen Nachmittag über auf das Basketballtraining zu konzentrieren. Bei jedem Rebound, bei jedem Block, bei jedem Wurf hatte sie das Gefühl, dass es ihr missriet. Als sie einen leichten Korbleger vermasselte, ertönte das übliche Geheule ihrer Mannschaftskameraden und die kurze Mahnung des Kotrainers: »Lass dir Zeit, Jordan, und dann rein!« Und obwohl die Tribüne vollkommen leer war, bildete sie sich ein, dass sie noch jemand beobachtete und dass selbst der kleine Ausrutscher eines verfehlten Wurfs bei einem reinen Übungsspiel weiter reichende Konsequenzen hatte.
    Instinktiv beschloss sie, sich äußerlich keine Blöße zu geben. Nicht die kleinste Nachlässigkeit. Jede Schwäche konnte dem Bösen Wolf dabei helfen, sie zu erwischen. Irgendwie schien es ihr, als müsse sie – auch wenn sie wusste, dass sie weit davon entfernt war – in jeder Hinsicht perfekt rüberkommen, um sich den Bösen Wolf vom Hals zu halten. So absurd das klingen mochte, lastete ihr die Verantwortung wie ein Bleigewicht auf den Schultern. Sie fragte sich, ob der Böse Wolf sie daran hinderte, sich einen Ball zu schnappen. Vielleicht konnte er selbst dann, wenn er nicht in der Nähe war, ihre Sprungkraft lähmen, indem er ihr einfach nur diese Befürchtung einimpfte.
    Dicht dran, aber nicht zu dicht. Nahe, aber nicht zu nah.
    Jordan ballte die Hände zu Fäusten.
    Ihr kam eine Idee. Sie sprintete über das Spielfeld – das mörderische Pflichtpensum am Ende des Trainings –, als ihr klarwurde, was sie machen musste. Grundlinie bis zur Freiwurflinie und

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