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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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war zu kaputt …«
    »Ach so, ja, faszinierend. Der Kerl von der Staatspolizei hatte wirklich ’ne Menge drauf; er war witzig und verdammt gewieft. Hab ’ne Menge dazugelernt. Kam allerdings ein bisschen zu spät.«
    Und was hast du gelernt?
    Diese Frage machte ihr Angst.
    Sie sah zu, wie er sich vom Bett wälzte und durch das Zimmer tappte.
    »Übrigens ist die Zahnpasta fast alle«, sagte er.
    Normal, dachte sie. Alles ist wie immer.
    Dieser Selbstbetrug tat ungeheuer gut. Sie beschloss zu überlegen, was sie zum Frühstück machen sollte, statt sich mit der Frage zu quälen, ob sie gegen ihren Willen auf ein grässliches Geheimnis gestoßen war. Sie hegte wenig Hoffnung, dass die Entscheidung, ob sie Eier oder Pfannkuchen machen sollte, sie lange von der Frage ablenken konnte:
Ist dein Mann ein Mörder?
     
    Als sie im Büro eintraf, war sich Mrs. Böser Wolf nicht mehr sicher, ob sie auf die Fragen, die ihre Grenzüberschreitung aufgeworfen hatte, tatsächlich Antworten hören wollte. Am liebsten hätte sie die Zeit bis zu dem Moment zurückgespult, an dem sie gemerkt hatte, dass sie den Schlüssel zum Arbeitszimmer ihres Mannes in der Hand hielt, und beschlossen hatte, heimlich hineinzugehen. Einerseits schämte sie sich dafür, dass sie ihn hintergangen hatte, andererseits war sie einfach verwirrt.
    Als Erstes trat sie an den schwarzen Aktenschrank mit sämtlichen Schülerakten und zog die von Jordan heraus.
    Innen auf dem Aktendeckel klebte das offizielle Schulfoto des Mädchens, das vom Anfang des Herbstsemesters stammte und dem weitere folgten. Irgendwie fühlte sich Mrs. Böser Wolf an Polizeifotos erinnert: Frontalansicht. Rechte Profilansicht. Linke Profilansicht – fehlte nur das Schild mit der Aktennummer unter dem Kinn.
    Mrs. Böser Wolf übersprang die Bilder und vertiefte sich in die Informationen, die in der Akte festgehalten waren. Eigentlich war ihr nichts daran neu: der plötzliche Absturz der guten Noten; die Probleme im Unterricht; das Gutachten der Psychologin über Jordans Belastung durch den heftig ausgetragenen Scheidungskrieg der Eltern; die frustrierte Einschätzung der Beratungslehrerin, dass Jordan dabei war, ihre Zukunftschancen zu verspielen; ein Vermerk mehrerer Lehrer sowie ihres Basketballtrainers über Jordans zunehmende Entfremdung gegenüber den anderen Schülern.
    Mrs. Böser Wolf war lange genug Sekretärin an der Privatschule, um das klassische Muster zu erkennen, das diese Schülerakte dokumentierte. Es ödete sie an, wie ein Fall dem anderen glich. Die bilden sich immer ein, nur sie allein hätten diese Probleme, stellte Mrs. Böser Wolf fest. Und genau da irren sie sich gewaltig. Andererseits wusste sie, dass Jordan – wie so vielen anderen Kindern, die in ihrem Alter ähnliche Krisen durchgemacht hatten – das Schlimmste noch bevorstand.
    Wie geht es weiter?, überlegte sie. Jordan experimentiert mit Sex. Jordan fängt an, Gras zu rauchen oder das verschreibungspflichtige Ritalin einer Klassenkameradin zu missbrauchen. Jordan verstößt eklatant gegen eine Vorschrift und fliegt von der Schule.
    Dagegen war ihr absolut rätselhaft, was in aller Welt Jordan mit ihrem Mann in Verbindung brachte.
    Vor allem: Wieso ausgerechnet sie? Was hatte ihn dazu bewogen, sich Jordan herauszupicken – ob als Mordopfer oder als Vorlage für eine Figur in einem Buch?
    Solche und ähnliche Gedanken jagten Mrs. Böser Wolf zwanghaft und quälend durch den Kopf.
    Sie merkte, dass sie beim Blättern in Jordans umfangreicher Akte die blanke Wut wie heiße Wogen erfasste.
    Was ist an dir so Besonderes, dass mein Mann dein Scheißfoto an der Wand hängen hat?, schrie sie innerlich.
    Und im selben Moment wurde ihr bewusst, dass sie Jordan hasste.
    Es war ein tiefer, glühender, eifersüchtiger Hass. Sie hätte weder sagen können, wieso sie ihn empfand, noch, wie sie dagegen angehen konnte.
    Mit einem hörbaren Knall klappte Mrs. Böser Wolf die Akte des jungen Mädchens auf ihrem Schreibtisch zu.
    Blieben noch die Ärztin und eine andere, ihr unbekannte Frau.
Wie kommt er auf die?
    Sie bückte sich nach ihrer Handtasche und zog einen Zettel heraus, auf dem sie die Namen und Daten zu den Büchern ihres Mannes und die scheinbar zusammenhangslose Liste mit Mordfällen festgehalten hatte, zu denen er Zeitungsartikel ausgeschnitten und in seinem Lederalbum aufbewahrt hatte. Ihr wurde klar, dass einige Recherchen anstanden. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie dafür hatte, nur dass

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