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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Buch in null Komma nichts an die Spitze der Bestsellerlisten schaffen, so viel stand fest.
    Die drei Roten würden nicht nur seinen mörderischen Drang einschließlich der intellektuellen Herausforderung befriedigen, sondern ihm außerdem ungeahnten Reichtum bescheren.
    Messer. Pistolen, Rasierklingen. Stricke. Seine bloßen Hände.
    Die Auswahl war unerschöpflich. Es ging nur darum, die jeweils passende Methode für jede der Roten zu finden.
    Das ist, stellte er fest, für einen Thrillerautor nichts Neues, sondern gehört selbstverständlich zur Gestaltung der Figuren und des Plots. Er grinste und musste sogar einen Moment laut lachen, bevor er sich wieder an seine Entwürfe machte, die ihn so in ihren Bann zogen. Er hatte etwas von einem Architekten. Jede Linie, die er zeichnete, war gerade und präzise.

[home]
    24
    E rstaunlicherweise nahm Rote Zwei den stummen Anruf mit der größten Gelassenheit auf. Sarah war verblüfft. Jede andere Konfrontation mit dem Bösen Wolf hatte sie in panische Angst versetzt und einen blindwütigen Abwehrinstinkt geweckt, und sie hatte wild mit ihrer Waffe herumgefuchtelt, doch so unheimlich und bedrohlich das Schweigen am anderen Ende der Leitung gewesen war, kam dabei eine Seite an ihr zum Vorschein, mit der sie selbst nicht gerechnet hatte. Sie war plötzlich ganz kühl, und es war nicht die Angst, die ihr eiskalt den Rücken herunterlief; vielmehr hatte es mit der Entscheidung zu tun, die ihr unvermutet klar vor Augen stand. Von einer Sekunde zur anderen wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Die Gewissheit bereitete ihr beinahe eine wohlige Wärme.
     
    Rote Eins dagegen war in Tränen ausgebrochen.
    Das Schweigen führte ihr mit aller Brutalität ihre Ohnmacht vor Augen. Ihr Leben lang hatte sie sich komplizierten Fragen gestellt und Lösungen erarbeitet, doch jetzt fiel ihr, so verzweifelt sie danach suchte, keine Antwort ein. Ihm Schimpfwörter entgegenbrüllen? Etwas Trotziges in den Hörer schreien? Eine Show abziehen, als ließe sie das Ganze kalt? Und so hatte sie in dem Moment, als der Böse Wolf aus den dunklen Tiefen der Leitung verschwand, den Hörer aufgelegt und losgeheult. Unter heftigem Schluchzen und verzweifeltem Stöhnen waren ihr die Tränen die Wangen heruntergelaufen. Diesmal hatte Karen nicht versucht, ihre Emotionen zu bändigen, sondern hatte sich von ihnen überrollen lassen. Die Arme fest um den Leib geschlungen, saß sie mit bebender Brust am Schreibtisch und wippte in unerträglicher Qual vor und zurück. Doch wie bei einem kleinen Kind, das um ein vermisstes Haustier weint, versiegten die Tränen irgendwann, und sie atmete wieder tief durch, auch wenn sie nicht den blassesten Schimmer hatte, was sie als Nächstes unternehmen sollte. Sie hatte nur den einen Wunsch, mit den anderen zwei Roten zu sprechen, denn sie wusste, dass die beiden Frauen, sosehr sie sich auch voneinander unterschieden, auf der ganzen Welt die einzigen Menschen waren, die das, was sie durchmachte, nachfühlen konnten. Und natürlich, fügte sie in Gedanken hinzu, der Böse Wolf.
     
    Rote Drei hatte die blanke Wut gepackt.
    Nach dem Anruf war an Schlaf nicht zu denken gewesen, und so hatte sie einen guten Teil der Nacht damit zugebracht, sich das YouTube-Video des Bösen Wolfs immer wieder anzusehen, um irgendeinen versteckten Hinweis darin aufzuspüren, der ihr dabei helfen würde, sich zu wehren. Doch vergeblich. Um drei Uhr morgens war sie schließlich ins Bett gekrochen und hatte sich, wie ein kleines Kind, das Angst vor der Dunkelheit hat, die Decke über den Kopf gezogen. Unter der Decke hatte sie schweißgebadet und mit zusammengebissenen Zähnen dagelegen. Irgendwann hatte sie das Bettzeug von sich geworfen, war starr wie eine Leiche auf dem Rücken liegen geblieben und hatte an die Decke gestarrt. Als der Wecker klingelte und sie aufstand, hatte sie sich schmutzig gefühlt, woran auch das heiße Wasser und der Seifenschaum auf der Haut nichts ändern konnten, und als Jordan an diesem Morgen zum Unterricht ging, wäre sie an der Stelle, an der sie am Abend den stummen Anruf auf dem Handy empfangen hatte, beinahe gestolpert und hingefallen. Es schien, als hätte ihr die Erinnerung ein Bein gestellt, und sie trat wütend mit dem Fuß gegen die Steine auf dem Weg, als seien sie daran schuld.
    In der ersten Stunde an diesem Morgen hatte sie Leistungskurs Spanisch.
    Die Lehrerin, Mrs. Garcia, eine Frau um die vierzig, war in Barcelona aufgewachsen und hatte dort Englisch

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