Der Wolf aus den Highlands
hier?«
»Vielleicht möchte ich ja nur sehen, wie MacKay Euch ein wenig Demut beibringt, bevor er Euch aufhängt.«
»Und vielleicht sollte man dir auch noch den Rest deiner Haare vom Kopf scheren«, erklang eine tiefe Stimme, die James sogleich als die von Egan erkannte.
Mab erbleichte und eilte davon.
Offenbar war es Egan gewesen, der versucht hatte, das bisschen Schönheit, das Mab ihr Eigen nennen konnte, zu zerstören. Er war es wahrscheinlich auch gewesen, der die törichte Frau auf James angesetzt hatte. Es sähe ihm ähnlich, dachte James, jeden, der ihm in die Hände fiel, für seine Demütigung leiden zu lassen.
»Ah, noch ein Besucher«, meinte James gedehnt. »Ich bin recht beliebt, hm? Wem oder was verdanke ich die Ehre?«
»Ich habe nur noch ein paar Fragen an Euch, bevor Donnell Euch zum Schreien bringt«, knurrte Egan.
»Welche Fragen?«
»Habt Ihr Annora MacKay angerührt?«
James starrte Egan wortlos an. Der Mann hatte gerade zu verstehen gegeben, dass er Annora noch nichts angetan hatte, was ihre verlorene Jungfernschaft offenbart hätte. James war so erleichtert, dass er einen Moment brauchte, um seine Gedanken zu sammeln.
»Wie ich MacKay schon gesagt habe, sollte die Frau sich um das Kind kümmern«, entgegnete er schließlich.
»Und Ihr erwartet, dass ich glaube, Ihr habt die Nacht mit ihr verbracht, ohne sie zu berühren?«
»Es gibt Männer, denen es nicht besonders lohnenswert erscheint, ein unwilliges Mädchen mit Gewalt zu beschlafen. Um Eure Frage zu beantworten – nein, ich habe Annora MacKay nicht angerührt.«
Unter bestimmten Umständen konnte auch er offenbar sehr gut lügen, dachte James. Doch ihm war klar, dass Egan nicht bereit war, ihm zu glauben, selbst wenn es die Wahrheit gewesen wäre. Für einen Mann wie Egan war es wohl unvorstellbar, dass ein Mann mit einer reizvollen Frau zusammen sein konnte, ohne seine Lust an ihrem Körper zu stillen, ob sie nun willig war oder nicht. Vermutlich war es ihm sogar ganz recht, wenn die Frau unwillig war, denn das verlieh ihm bestimmt ein Gefühl großer Macht.
Und so ein Mann sollte Annora nahe sein, wenn James nicht mehr da war. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, was dieser Mann mit ihr anstellen würde. Aber leider konnte er es sich nur zu gut vorstellen, schließlich hatte er ihn ja schon zweimal von Annora wegreißen müssen. Es tat ihm in der Seele weh, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr in der Lage sein würde, sie vor einer solchen Brutalität zu beschützen.
»Egan, ich habe nach Euch gesucht«, fauchte MacKay und trat in die Zelle.
»Ich musste den Mann fragen, ob er Annora angerührt hat«, erklärte Egan.
MacKay schubste Egan fluchend aus dem Weg und baute sich vor James auf.
»Was ist schon, wenn Annora keine Jungfrau mehr ist?«, fragte er, ohne den Blick von James zu lassen.
»Weil ich es bin, der ihr die Jungfernschaft nehmen sollte. Er behauptet standhaft, dass er sie nicht berührt hat, aber ich glaube, er lügt.«
»Tut Ihr das, Drummond?«, fragte MacKay mit einer weichen, fast sanften Stimme, bei der es James eiskalt überlief. »Ich denke, Egan könnte recht haben. Ich denke, dass Ihr mich anlügt. Ich denke, dass auch Annora lügt. Aber ich werde ihr die Wahrheit bald aus dem Leib geprügelt haben. Allerdings muss sie sich dafür noch ein bisschen erholen, Egan hat sie nämlich etwas zu heftig verhört.« MacKay griff nach der Peitsche, die an der Wand hing. »Ich denke, jetzt werde ich mir erst einmal die Zeit nehmen, Euch zu verhören. Wisst Ihr, bei einer Sache hat mich Annora sicher belogen – nämlich wie ihr es geschafft habt, ungesehen aus Dunncraig zu verschwinden.«
»Ihr habt sehr sorglose Wächter«, erwiderte James. Er zwang sich, nicht auf die Peitsche zu blicken in Erwartung des Schmerzes, den MacKay ihm gleich zufügen würde.
»Tja nun, das mag schon sein, aber so sorglos sind sie nun doch nicht. Kaum jemand würde einen Mann, eine Frau und ein Kind übersehen, die mitten in der Nacht Dunncraig verlassen. Nay, ich denke, dieser Keep hat ein paar Geheimnisse, die ich noch aufdecken muss, und ich werde Euch dazu bringen, sie mir zu verraten.«
»Tut Euer Schlimmstes«, sagte James mit kalter Stimme. Seine Angst versteinerte sich zu tiefem, kalten Hass.
»Genau das habe ich vor«, erwiderte MacKay und hob die Peitsche.
19
Annora schien, als würden alle damit rechnen, dass sie gleich umfiel. Tatsächlich stand sie kurz davor, und die Besorgnis der anderen
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