Der Wolf aus den Highlands
machte es ihr umso schwerer, sich auf den Beinen zu halten. Und die Besorgnis, kombiniert mit dem großen Respekt vor ihr, die die Männer, die mit ihr durch die Dunkelheit schlichen, ausstrahlten, ließen in ihr den Wunsch wachsen, sich einfach hinzusetzen und trösten zu lassen. Der einzige Mann, bei dem sie das heftige Bedürfnis weiterzugehen verspürte, war Tormand, und so versuchte sie, weiterhin für seine Gefühle offen zu sein. Das reichte, um sich, wenn auch mühsam, bis zu dem gut verstreckten Zugang zum Tunnelsystem vom Dunncraig Keep aufrecht zu halten.
»Wie weit ist es noch?«, flüsterte Tormand.
»Nur noch ein paar Yards«, erwiderte sie, während die Männer einer nach dem anderen tiefer in das Dunkel des Waldes eintauchten, den sie soeben erreicht hatten.
»Setzt Euch hin«, sagte Tormand und drängte sie sanft, sich mit dem Rücken an den knorrigen Stamm eines großen Baumes zu lehnen.
»Das ist wahrscheinlich nicht sehr klug, womöglich komme ich dann nicht mehr hoch.« Als Simon sich zu ihr herunterbeugte und ihr einen Weinschlauch hinhielt, lächelte sie dankbar und trank einen kleinen Schluck.
»Ihr müsst Euch nur bemühen, nicht ohnmächtig zu werden«, meinte Tormand. »Wenn nötig trage ich Euch, und Ihr könnt uns den Weg weisen. Vielleicht sollte ich das gleich tun.«
»Das ist zwar ein sehr freundliches Angebot, aber ich glaube nicht, dass ich dann weniger Schmerzen hätte«, entgegnete sie matt.
»Könnt Ihr uns den weiteren Weg nicht einfach beschreiben oder hier auf den Boden zeichnen?«
»Ich wünschte, ich könnte es, aber ich bin nur ein einziges Mal durch diese Geheimgänge gelaufen. Ich weiß, wie man von hier aus zum Durchschlupf in der Ringmauer gelangt, auch wenn das nicht der Weg ist, den James und ich nahmen, als wir aus Dunncraig flohen. Aber das weiß ich nur, weil ich in den letzten drei Jahren oft hier war und jeden Baum und jeden Strauch kenne. Den unterirdischen Weg muss ich sehen, um Euch sagen zu können, wie Ihr laufen müsst.«
»Denkt Ihr denn, Ihr werdet Euch an den Weg erinnern, wenn wir drinnen sind?«
»Aye. Ich möchte Euch nicht mit Geschichten aus meiner Kindheit langweilen, aber ich habe sehr rasch gelernt, den Weg zum Ausgangsort zurückzufinden. Ich kann einen Weg einmal gehen und finde zurück, egal, wie viel Zeit dazwischen verstrichen ist. Aber um anderen sagen zu können, wie sie gehen sollen, oder um eine Karte zeichnen zu können, muss ich den Weg sehr oft gegangen sein.«
»Eine interessante Fähigkeit«, murmelte Simon.
»Wahrscheinlich.« Sie warf einen Blick auf die MacLarens, die sich in den dichten Schatten mehrere Fuß entfernt zusammengedrängt hatten.
Leise fragte sie: »Seid Ihr Euch sicher, dass es klug ist, den MacLarens den Weg für einen Ausfall und jetzt ins Innere der Burg zu zeigen? Schließlich hegen sie einen gewaltigen Groll gegen Dunncraig.«
»Sie hegen einen Groll gegen Euren Cousin«, entgegnete Simon. »Falls James sich sorgt, dass die MacLarens jetzt über dieses Schlupfloch Bescheid wissen, kann er den Durchschlupf mühelos schließen, wenn alles vorbei ist.«
»Das stimmt.« Sie richtete sich auf und holte ein paarmal tief und langsam Luft, weil ihr klar war, dass es ziemlich wehtun würde aufzustehen. »Am besten setzen wir unseren Weg fort.«
Simon und Tormand halfen ihr behutsam auf die Beine, sodass die Schmerzen erträglich waren, aber es bedurfte weiterer tiefer, langsamer Atemzüge, damit sie das Gleichgewicht wiederfand, bevor sie sich in Bewegung setzen konnte. Mit Tormand an ihrer Seite, der seinen Arm um ihre Taille gelegt hatte, um sie zu stützen, führte Annora sie durch den Wald zum Durchschlupf zu den Geheimgängen, die sich durch den Bauch des Keeps zogen. Obgleich der Durchschlupf in der Ringmauer zwischen den dicken Wurzeln eines alten Baums schlau versteckt war, führte Annora die Männer direkt dorthin.
Tormand begab sich als Erster in den unterirdischen Gang, und dann ließ Simon Annora behutsam zu ihm hinunter. Jeder Schritt bereitete ihr nach wie vor Schmerzen, doch inzwischen konnte sie sie besser verbergen. Unablässig sagte sie sich vor, dass bald ein weiches Bett auf sie warten würde, ein Trank gegen die Schmerzen und Zeit, in aller Ruhe ihren Schmerz auszuweinen, den sie so lange hatte unterdrücken müssen. Manchmal stellte sie sich sogar vor, dass sie im Bett lag und ein besorgter James ihre Stirn sanft mit kühlem Lavendelwasser erfrischte.
Mit diesem Bild schaffte sie
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