Der Wolf
lernen können. Außer für die Jagd gilt dies vor
allem für die Welpenaufzucht, die sie zum erstenmal erleben. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Welpen ihre Vollgeschwister sind, ist bei ihnen größer als bei den älteren Subdominanten. So beteiligen sie sich auch meistens intensiv
an der Betreuung der Welpen. Da ihnen von den älteren
Wölfen viel Toleranz entgegenkommt, müssen sie sich nicht
intensiv um den Verbleib im Rudel bemühen. Daher können sie jede Chance nutzen, ihre Ausgangsposition für die
spätere Entscheidung, ob sie im Rudel bleiben oder nicht,
zu verbessern. Dies tun sie am besten, wenn sie sich an
bereits von anderen in Gang gesetzten Angriffen auf die
in der Rangordnung über ihnen stehenden jungen Adulten
beteiligen. Abgesehen vom Alpha-Weibchen gibt es wohl
keine kampffreudigere Gruppe im Rudel als diese »Halbstarkenbande«. Der Erfolg gibt den Juvenilen jedenfalls recht ;
häufig sind sie es, die vakant gewordene Positionen an der
Spitze des Rudels besetzen.
Die Welpen
Auch für die Welpen schließlich gibt es keine Probleme, im
Rudel zu bleiben. Im Unterschied zu den Juvenilen haben
sie aber Interesse an möglichst vielen Rudelmitgliedern,
die für sie Futter beschaffen und sie gegen Gefahren schützen. Ihre äußerst große Freundlichkeit und die Zurschaustellung ihrer »Kindlichkeit« richten sich demnach vorerst
an alle Rudelmitglieder, auch, ja insbesondere an für sie
fremde oder nach längerer Abwesenheit zum Rudel zurückkehrende Wölfe. Dieses Verhalten verhindert Aggressionen
gegen sie und löst gleichzeitig Fürsorgeverhalten bei den
Älteren aus. Erst wenn sie etwas größer und selbständiger
sind, richten sie ihre Zurschaustellung infantiler Harmlosigkeit und noch vorhandener Abhängigkeit vor allem an
die für sie immer noch wichtigsten Tiere : ihre Eltern, die
Ranghöchsten des Rudels.
Rudelstabilität und Inzucht
Die relativ hohe Stabilität der Paarbindung zwischen den
reproduzierenden Wölfen, die Rekrutierung neuer Reproduzenten aus dem bestehenden Rudel und die hohe Aversion gegen Rudelfremde führen auf die Dauer zu einer Inzucht im Rudel. Die Zunahme von Rekombinationen ähnlicher Genotypen bedingt eine Abnahme der Genvariabilität innerhalb der Rudel und eine Zunahme der Variabilität zwischen verschiedenen Rudeln. Der Selektionsdruck
gegen verschiedene rezessive Genkombinationen erlaubt
eine schnelle Entwicklung neuer adaptiver Genotypen. Die
hohe Anpassungsfähigkeit des Wolfes ist somit ein Resultat beschleunigter evolutiver Vorgänge im stabilen Rudel.
Auf der anderen Seite birgt die Häufung rezessiver Merkmale innerhalb enger Verwandtschaftsgruppen natürlich
auch Gefahren, so daß sich die Frage nach der Lebensdauer
der Rudel als exklusiver Reproduktionseinheiten stellt. Wie
lange bleibt ein Rudel von zwei nicht nahe verwandten Tieren bestehen, bis es durch den Tod oder das Auseinandergehen seiner Mitglieder wieder verschwindet oder bis Neuaufnahmen fremder Tiere stattfinden ?
Auf diese Frage können wir noch keine Antwort geben.
Auf Isle Royale, wo die Freilandstudie seit 1959 im Gang
ist, durften die Wölfe leider bislang nicht markiert werden,
so daß bei den jährlich wiederholten Winterbeobachtungen zumeist nur wenige Tiere aus dem Vorjahr wiederzuerkennen waren. Einmal hat man beobachtet, wie ein Rudel
nach Verlust des Alpha-Rüden auseinandergebrochen ist.
Auch die Beobachtungen an unserem Rudel lassen vermuten, daß ein Wechsel auf einer der beiden höchsten Positionen eine Zeit großer Unruhe und Umstrukturierung einleitet, in der das Rudel unter Umständen auseinanderfallen kann. Auch wenn eine völlige Desorganisation nicht
immer die Folge sein muß, so ist dies sicherlich die Zeit
größtmöglicher Veränderungen, zum Beispiel durch das
Abspalten ganzer Gruppen oder durch die Neuaufnahme
fremder Tiere.
Das Verbleiben der Alpha-Wölfe auf ihren Positionen ist
daher ein Hinweis für die Dauer stabiler Zustände im Rudel.
Dabei beobachteten wir interessante mögliche Unterschiede
bei Rüden und Weibchen. In unserem Rudel war Finsterau
fünfeinhalb Jahre uneingeschränkt Alpha-Weibchen, während es bei den Rüden Wölfchen nur auf drei, Olomouc nur
auf zwei Jahre und Alexander gar nur, wenn auch mehrmals, auf wenige Monate in der Alpha-Position brachten.
Da Störungen von außen hier nicht zu vermeiden waren,
sagen diese Angaben noch wenig. Doch bei einem Vergleich
mit den Daten von Isle Royale ergibt sich ein ähnliches
Bild.
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