Der Wolf
die ansonsten mögliche Zunahme der Beutepopulation verzögern und somit zeitlich begrenzt deren Bestand limitieren.
– Auch die Höhe des Wolfbestandes wird langfristig vom
Nahrungsangebot bestimmt, das indessen nicht nur von der
Anzahl der Beutetiere, sondern auch von deren Verfassung
abhängig ist. So kann die Anzahl der Wölfe kurzfristig über
die sonst tragbare Dichte steigen, obwohl die Anzahl der
Beutetiere gleichzeitig sinkt ; nach einer Übergangszeit muß
aber auch der Wolfbestand wieder abnehmen.
– Zufällige Umweltfaktoren wie die Schneehöhe, andere
klimatische Faktoren, weitere Nahrungsquellen für die Räuber sowie soziale, krankhafte oder genetische Entwicklungen innerhalb der Wolfpopulation selbst können das Räuber-Beute-Verhältnis zusätzlich beeinflussen.
Der Wolf: Feind seiner Beute ?
Seit der Eiszeit hat sich in weiten Lebensräumen der nördlichen Erdhalbkugel eine langfristig stabile und sich wechselseitig bedingende enge Beziehung zwischen Vegetation,
Huftier und Wolf entwickelt. Seit Jahrtausenden werden
bevorzugt junge, alte, kranke und schwache Tiere gerissen – vom Wolf nicht etwa absichtlich, sondern weil er
meistens nur diese zu töten in der Lage ist. Auf die Beutepopulation hat dies einen sanitären Einfluß. Außerdem
wird deren Altersstruktur zugunsten der reproduzierenden
Altersklasse verschoben, mit einer erhöhten Reproduktivität als Folge. Schließlich scheint der regulative Einfluß
des Wolfes Populationsschwankungen zu dämpfen, was
wohl wesentlich zur Stabilität des Systems beiträgt. Aufgrund der selektiven Jagdweise des Wolfes unterliegen aber
nicht alle Tiere der Beutepopulation demselben Einfluß,
und daher müssen wir uns auch einmal nach der Bedeutung des Wolfes für die Einzelindividuen unter den Beutetieren fragen.
Für die ganz jungen Beutetiere bedeutet der Wolf eine
besonders große Gefahr. Einmal entdeckt, haben sie, wenn
von den Eltern nicht geschützt, keine Möglichkeit, ihm
zu entkommen. In diesem Alter werden somit jene Verhaltensweisen von Kind und Mutter (die vom Standpunkt
ihrer eigenen »fitness« ja auch großes Interesse am Überleben der Jungen hat) selektiv von Vorteil sein, welche die
Jungen für den Beutegreifer schwer zu entdecken oder gar
unerreichbar machen. Das junge Reh und zum Teil auch das
Hirschkalb leben in den ersten Lebenstagen und -wochen
abgelegt, äußerst gut versteckt. Bei den im Gebirge lebenden Arten ziehen sich die Mütter zur Geburt und zur Aufzucht in für Wölfe unzugängliche steile Gebiete zurück. Das
junge Renkalb der Tundra ist sehr bald in der Lage, jedem
Wolf davonzurennen. Bei zwei weiteren Arten des offenen
Geländes (Bison und Moschusochse) haben sich, wenn auch
in unterschiedlicher Form, kollektive Verteidigungsstrategien für die Jungen entwickelt; die Wölfe haben nur eine
Chance, wenn sie das Kalb, oder bestenfalls Mutter und
Kalb, von der übrigen Gruppe oder Herde getrennt finden
oder abtrennen können. Auch eine gesunde Elchkuh kann
ihr Kalb gegen ein großes Wolfsrudel verteidigen.
Die Überlebenschance der Kälber ist also weitgehend
vom Verhalten der Mutter abhängig. Sicher spielen in diesem Alter auch Zufall und Glück eine besonders große Rolle.
Das Kalb einer erfahrenen, wachsamen Mutter hat dennoch
eine größere Chance, am Leben zu bleiben und so deren
Genmaterial an die nächste Generation weiterzugeben.
Mit zunehmendem Alter des Jungtieres hängt die Entscheidung seines Überlebens mehr und mehr von ihm selbst
ab. Solange es genügend zu fressen hat und gesund bleibt,
ist seine Überlebenschance groß. Zwar muß es ständig auf
der Hut sein vor Angriffen ; womöglich wird es sogar mehrmals in seinem Leben von Wölfen auf Gesundheit und
Stärke getestet. Das kostet Energie. Es bedeutet aber auch,
daß wenigstens bei den im Wald lebenden Pflanzenfressern
eine größere Verteilung über das Gebiet zustande kommt,
die übermäßige Konzentration und eine Überweidung einzelner günstiger Wintereinstände verhindert. Die stärkeren Tiere werden auch von ihren schwächeren und kranken
Konkurrenten »befreit«, was mehr Platz und Futter bedeutet sowie eine geringere Gefahr, selbst durch Ekto- oder
Endoparasiten geschwächt zu werden. Dadurch erhöhen
sich auch ihre Reproduktionschancen, während die Getöteten sowieso nur eine geringe Chance gehabt hätten, ihre
Gene in die nächste Generation überzuführen, weil sie zur
erfolgreichen Elternschaft entweder zu alt oder zu
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