Der Wolf
Unterhalb 1100 Meter wird
die Rotbuche durch Hainbuche und Eiche verdrängt. Hier
liegen ebenfalls ausgedehnte Weidegebiete und in den Tallagen auch mit Mais und Getreide bestellte Felder. In noch
tieferen Lagen unter 700 Meter werden Wein sowie Obst,
Gemüse und Getreide angebaut.
In den Lagen über 800 Meter werden Schafe gehalten.
Die lokalen Herden sind zumeist klein und umfassen selten mehr als hundert bis zweihundert Schafe und einige
Ziegen. Solange kein Schnee liegt, treibt man die Herden
sommers und winters täglich auf die an die Dörfer angrenzenden Weiden, während sie nachts in aus Stein gebauten
Ställen in den Dörfern untergebracht sind. Nur in den Sommermonaten werden sie zum Teil höher ins Gebirge getrieben, wo sie dann in eingezäunten Pferchen übernachten.
Zusätzlich zu diesen lokalen Herden kommen im Sommer
große Herden aus dem Tiefland ins Gebirge, um hier von
Mitte Juni bis Ende Oktober zu weiden. Sie können mehrere Tausend Tiere umfassen. Auch sie werden tagsüber
durch Schäfer und Hunde bewacht und nachts in Pferchen
gehalten. Eine freie Beweidung, wie sie etwa in Schottland
üblich ist, wo die Schafe Tag und Nacht über große Gebiete
verteilt unbewacht bleiben, gibt es hier nicht. Während die
Zahl der Schafe in den letzten fünfzig Jahren ständig abgenommen hat, verzeichnet die Rinderhaltung einen leichten Aufwärtstrend. Die Rinder weiden im Sommer frei
im Gebirge.
Die Menschen bewohnen hauptsächlich die tiefer liegenden Gebiete, sie leben in Dörfern und vielen kleinen sowie
einigen größeren Städten. Die Populationsdichte für die
gesamte Region Abruzzi beträgt 109 Einwohner je Quadratkilometer. In den höheren Zonen liegen kleine Dörfer
am Fuß der Gebirgszüge bis auf 1100 Meter hinauf. Hier
leben durchschnittlich 29 Menschen auf einem Quadratkilometer. Aus diesen Gebieten fand bis Mitte dieses Jahrhunderts eine beträchtliche Abwanderung statt. Einige Dörfer
wurden völlig verlassen. In den letzten Jahren hat mit dem
aufkommenden Tourismus in einigen Gebieten eine gegenläufige Bevölkerungsbewegung eingesetzt. Viele Auswanderer kommen jetzt aus England, den USA und Australien
zurück. Die größten Skiorte sind Roccaraso (südlich des
Maiella) und Pescasséroli im Nationalpark.
Im südlichen Teil der Abruzzen lebt eine kleine Restpopulation von etwa sechzig bis hundert Bären, die letzten
in den Apenninen. Die Gemsen sind ausgerottet bis auf
eine Kolonie von etwa fünfhundert Tieren im Nationalpark.
Rehe und Hirsche waren völlig ausgerottet. Wiedereinbürgerungsversuche im Nationalpark haben 1972 begonnen.
Wildschweine waren ebenfalls fast verschwunden, breiten
sich aber jetzt wieder auf natürliche Weise aus. Über den
Wolf schließlich lagen Luigi Boitani nur Berichte aus den
stärker bewaldeten Teilen des Maiella und aus dem Nationalpark vor. In diesem Bereich wollten wir die Untersuchungen durchführen.
Die ersten Wölfe
Luigi hatte alles gut vorbereitet. Wir kehrten in ein einsam gelegenes Berghotel am Passo San Leonardo (1280
Meter) ein, wo wir zuerst einige Tage allein nach Spuren
suchen wollten, bis zehn weitere Mitarbeiter – Zoologen
und Naturschützer aus vielen Teilen Italiens (unter ihnen
auch einige Wildhüter aus den Parchi Nazionali Gran Paradiso und d’Abruzzo) – zu uns stoßen sollten. Am Tag unserer Ankunft hatte es schon etwas geschneit, und am nächsten Morgen lag der Nebel dicht über dem Paß. Wir zogen
gleich los, um nach möglichen Spuren zu suchen. Von den
umliegenden Bergen sahen wir nichts. Luigi schwärmte nur
von ihrer Schönheit. Auch sonst sahen wir nicht viel. Wir
fuhren eine enge, kurvenreiche Straße abwärts in nördlicher Richtung, über weite, offene Hänge, die anscheinend
im Sommer als Weideland für Schafe und Kühe genutzt
werden. Plötzlich sahen wir eine große, ziemlich frische
Spur, welche die Straße überquerte. Waren wir aufgeregt !
Schon der erste Wolf?
Auf Schneeschuhen folgten wir der Spur in eine Senke
hinunter, dann über Hügel wieder hinauf, dann wieder
hinunter im Kreis und ständig jede Böschung durchsuchend. Eine weitere Spur kam hinzu. Wir schätzten, daß
die Wölfe hier während der Nacht gelaufen waren. Sie
mußten etwas gesucht haben, denn es ging nie lange Zeit
geradeaus, sondern ständig in Schleifen und Kreisen, die
eigene Spur häufig kreuzend.
Hätten wir Erfahrung gehabt, dann hätten wir sofort
gewußt, daß die Spur nicht von Wölfen, sondern von Hunden stammte. Nachdem
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