Der Wolf
Tagen erfuhren. Nur war damals alles noch fremd und rätselhaft. Warum wurden die Wölfe an diesem einen Tag, als
die Jäger des Dorfes losgezogen waren, nicht intensiver verfolgt ? Das bißchen Schnee war kein ausreichender Hinderungsgrund. In Lappland gehen Hunderte von Männern für
Wochen bei größter Kälte gemeinsam auf Wolfsjagd. Dabei
sahen die Leute hier nicht so aus, als seien sie verweichlicht
und suchten nur die häusliche Wärme. Und warum hatten
die Männer solch einen Respekt vor den Wölfen, während
im selben Dorf die Schäfer und auch die Straßenarbeiter,
die uns die Wolfsspur gezeigt hatten, ohne einen Gedanken daran zu verwenden, tagtäglich mitten im Wolfsgebiet
zu arbeiten hatten – unbewaffnet?
In den nächsten Tagen durchkämmten wir die Gebiete
südlich des Maiella-Massivs. Wolfsspuren fanden wir auf
den höher gelegenen, tiefverschneiten Berghängen nicht,
nur vereinzelt in den Tallagen. Über dem Dorf Roccapia
fanden wir, ähnlich wie oberhalb von Santa Eufémia und
Pacentro, Spuren mehrerer Wölfe in steilen, zerklüfteten
Schluchten und Felsregionen in unmittelbarer Nähe der
dichten Buchenwälder an den Berghängen. Auch hier führten Spuren bis zum Dorf und wieder zurück. Wegen der
vielen Spuren von Hunden, Schafen und Menschen konnten
wir aber nicht feststellen, wie nahe die Wölfe an das Dorf
herangekommen waren und was sie dort getan hatten.
Der Nationalpark
Im Parco Nazionale d’Abruzzo, im südlichen Teil unseres
Gebietes, erwarteten uns weitere Helfer. Franco Tassi, der
Leiter der Nationalparkverwaltung, stellte uns alle seine
Wildhüter zur Verfügung. Doch zuerst mußten wir wegen
ausgiebiger Schneefälle zwei Tage mit der Zählung aussetzen. Dann kam wieder herrliches Wetter, so daß wir
innerhalb eines Tages das ganze Gebiet samt umliegenden
Regionen erfassen konnten. Wie bei früheren Beobachtungen fanden wir auch jetzt kaum Wolfsspuren in den höher
gelegenen, tiefverschneiten Gebieten. Die Wölfe hielten
sich in Höhen bis maximal 1400 Meter auf. Wann immer
möglich, schienen sie nachts die gut geräumten Straßen in
den Tälern zu benutzen. Außerdem hielten sie sich offensichtlich nicht zu weit von den Siedlungen entfernt. Wieder
fanden wir in der Nähe dreier hochgelegener Dörfer Spuren, die zu felsigen, bewaldeten, für Menschen fast unzugänglichen Berghängen führten. Anscheinend hielten sich
hier die Wölfe tagsüber auf. Die Leute vom Nationalpark
hatten im Gelände eine Futterstelle für Wölfe eingerichtet,
an der sie ab und zu Schlachterabfälle auslegten. Auch hier
fanden wir Spuren, und als wir abends dort einmal heulten, bekamen wir Antwort aus dem dichten Wald oberhalb. Es waren vielleicht vier oder fünf Wölfe.
Der zweimalige Schneefall hatte unsere Zählung sehr
begünstigt. Ähnliche Bedingungen sollten wir in den folgenden Jahren nie wieder vorfinden. Insgesamt zählten wir
mindestens siebzehn Wölfe. Der tatsächliche Bestand lag
vermutlich etwas höher, bei etwa zwanzig Individuen oder
knapp darüber. Der Vergleich mit der indirekten Bestandserhebung fiel also sehr günstig für Luigi Boitani aus, der
den Bestand vorher ja auf fünfundzwanzig Wölfe geschätzt
hatte. Trotzdem waren sowohl die indirekt als auch die
direkt gewonnenen Daten nur als grobe Anhaltswerte zu
verstehen. Eins allerdings zeigten sie deutlich : Bei dieser
geringen Anzahl war der Wolf in Italien tatsächlich eine
hochgefährdete Tierart.
Zur Wolfsökologie in den Abruzzen
Ein neues Projekt
Zusammen mit Arturo Osio vom WWF in Rom überlegten
wir uns daher, was weiter zu machen sei. Bis jetzt hatten
wir die wichtigsten Fragen der künftigen Schutzmaßnahmen klären können. Wir wußten ungefähr, wo die Wölfe
lebten, wie viele es waren und in etwa, von was sie sich
ernährten. Trotzdem entschloß sich der WWF, das Projekt weiterzuführen, und zwar nunmehr als internationales Projekt mit einer viel größeren finanziellen Ausstattung.
Man versprach sich davon nicht nur genaueres Wissen über
die Lebensbedingungen des Wolfes, sondern auch ein großes publizistisches Echo für den Wolf und die Belange
von WWF und IUCN. Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources mit Sitz in der
Schweiz ist eine mit der UNO assoziierte weltweite Naturschutzorganisation, die eng mit dem WWF zusammenarbeitet. Für eine Vielzahl bedrohter Tierarten hat sie Expertengremien gebildet, darunter auch einen Wolfsausschuß,
dessen Vorsitz damals Doug
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