Der Wolf
Pferde
einsetzen wollten, war überflüssig, denn die Wölfe waren
ausgesprochen standorttreu.
Das Signal der Wölfe war gradlinig von Bergspitze zu
Bergspitze mindestens zwanzig Kilometer weit zu empfangen. Im Wald war die Reichweite beträchtlich geringer, und
ein Bergmassiv, ja schon ein kleiner Hügel zwischen uns
und dem Wolf bedeutete das Ende des Empfangs. Der Wolf
brauchte sich manchmal nur wenige Meter zu bewegen, und
der pulsartige Piepton in unserem Empfänger hörte schlagartig auf. Wie viele Tage wir bergauf, bergab gelaufen, wie
viele Zehntausende von Kilometern wir gefahren sind, um
derart für unsere Empfänger entschwundene Wölfe wiederzufinden – ich mag gar nicht daran denken. Einmal waren
wir zu dritt zehn Tage lang im Gebirge zu Fuß unterwegs,
um unseren zuerst gefangenen Wolf zu suchen ; die Ausbeute beschränkte sich auf die Feststellung, daß das Tier
seinen üblichen Tagesrastplatz gerade um etwa sechshundert Meter in eine Talsenke verlegt hatte. Einen anderen
jungen Wolf, der aus dem Maiella-Gebiet im Alter von vierzehn Monaten auswanderte, haben wir ein halbes Jahr lang
mehrmals in der Woche über die halbe Region Abruzzi
ohne Erfolg gesucht. Mit einem Helikopter einmal unterwegs, fand ich ihn binnen Minuten.
Luigi Boitani hatte ein solches Flugzeug für uns organisieren können. Eine weitere Polizeieinheit im Gebiet, die
Finanzpolizei, besaß in Pescara zwei Hubschrauber. Eine
Unterredung im Finanzministerium in Rom brachte Erfolg :
Eine der beiden Maschinen stand uns zur Verfügung. Auf
dem Papier. Mit den Gebühren für all die Telefongespräche, die wir vergebens mit Pescara führten, hätten wir ein
Flugzeug viele Stunden lang kommerziell chartern können – wenn wir nur eins gefunden hätten. Mit dem Helikopter war immer irgend etwas anderes los. Mal fehlte es
an Benzin, mal war er kaputt, mal war das Wetter schlecht,
mal streikten die Piloten, mal war die Flugplatzfeuerwehr
dran, mal ging der dienstliche Einsatz vor, so daß eine
neue Genehmigung aus Rom notwendig war. Geflogen sind
wir nur einige wenige Male. Auch mit Privatflugzeugen
klappte es nicht : Bei einem Piloten fehlte uns die Genehmigung zum Funken aus der Luft, ein anderer traute sich
nicht ins Gebirge zu fliegen – stets gab es neue Hindernisse. Schließlich wurde es mir zu dumm. Ich lernte in
Deutschland fliegen, charterte eine kleine Cessna 150 und
flog zusammen mit Dagmar, meiner Frau, über die Alpen
und die Adria nach Pescara. So hatten wir im letzten Jahr
für unsere Arbeit endlich ein Flugzeug zur Verfügung –
leider viel zu spät.
Wir versuchten jeden der markierten Wölfe täglich zu
orten. Wie gesagt, gelang es uns häufig nicht, trotz aller
Bemühungen. Es gab aber Zeiten, in denen wir wochenlang hintereinander den genauen Ort feststellen konnten, an
dem die Wölfe sich tagsüber aufhielten. Daneben nahmen
wir uns auch nachts einzelne Wölfe vor und verfolgten sie
auf ihren nächtlichen Wanderungen. Manchmal mußten
wir uns dazu trennen. Eine Gruppe kampierte für Wochen
oben im Gebirge und stellte den Aufenthaltsort des Wolfes bei Tage fest. Wenn er am Abend talwärts zog, übernahm unten die zweite Gruppe die nächtliche Verfolgung
vom Landrover aus, bis der Wolf in der Morgendämmerung wieder ins Gebirge hinaufzog. Jeden Wolf versuchten wir auf diese Weise wenigstens einmal im Monat über
mehrere Tage und Nächte hintereinander kontinuierlich
zu beobachten.
Die täglichen Wanderungen der Wölfe
Die Ergebnisse dieser zweieinhalb Jahre dauernden Verfolgung von mit Sendern versehenen Wölfen in den Abruzzen zeigte uns, daß der Wolf hier eine weitgehend andere
Lebensweise pflegt als etwa in den nordamerikanischen
Wildnisgebieten. Von dort wissen wir, daß die Wölfe, zumeist im Rudel zusammengeschlossen, lange Wanderungen
durch ihr Territorium machen und dabei jeden Tag woanders schlafen. Nur im Sommer, während der Welpenaufzucht, verlaufen die Wanderungen der Wölfe sternförmig
von und zu dem Aufenthaltsort der Welpen. In den Abruzzen hingegen blieb diese sternförmig verlaufende Aktivität das ganze Jahr über bestehen. Jeder Wolf, jedes Rudel
hatte einige wenige Orte im Revier, zu denen sie tagtäglich
zurückkehrten, manchmal wochenlang zu ein und demselben Ort. Diese traditionellen Rückzugsgebiete, wie wir sie
nannten, lagen an für Menschen weitgehend unzugänglichen, mit dichtem Buchenwald bewachsenen Steilhängen.
Ihre Distanz zum nächsten Dorf war nicht unbedingt sehr
groß, doch
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