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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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konnten. Nun war der Verkehr in dieser
Jahreszeit sowieso minimal : drei, vier Wagen vielleicht an
einem normalen Tag. Trotzdem verließen die Wölfe den
Wald an solchen Tagen nicht. Sie mußten also jetzt auch
am Zustand der Straße gemerkt haben, daß sie sich an diesem Tag gefahrenfrei im offenen Gelände bewegen konnten :
keine Autofahrt möglich – also auch keine Menschen.
    Ich gebe zu, daß diese Deutung ihres Verhaltens gewagt
ist, wird hierbei doch geradezu Einsicht vorausgesetzt. Eine
bessere Erklärung fällt mir indes nicht ein – das Laufen
der Wölfe über das offene Plateau war allzu ungewöhnlich,
um zufällig gewesen zu sein. Zuerst liefen sie die Straße
entlang. Dann machten sie einen Umweg zu einer kleinen
Hütte, in der wir früher gewohnt hatten, wobei sie sich der
Hütte von hinten näherten, offensichtlich auch hier sicher,
daß diese gerade unbewohnt war. Dann kreuzten sie erneut
die Straße und den Paß, einige hundert Meter vom Hotel
entfernt. Unterhalb des Passes war die Straße frei, und die
Spur der Wölfe führte von der Straße weg hinauf in Richtung der Steilhänge. Mühsam stapfte ich der Spur nach. Auf
einer Anhöhe heulte ich in Richtung der Wölfe. Die Antwort kam sofort: das Heulen eines ganzen Rudels, kaum
fünfhundert Meter von mir, aus dem Wald. Die Tiere hatten sich also nicht einmal beeilt – so sicher mußten sie sich
ihrer Sache gewesen sein.
Ähnliche Beobachtungen gäbe es noch viele beizusteuern. Bei schwerem Unwetter zum Beispiel blieben die Wölfe
zumeist auch nachtsüber in ihrem Rückzugsgebiet und fingen erst dann an, sich zu bewegen, wenn der Sturm vorüber war. Manchmal kam es vor, daß sie auch bei schönem
Wetter abends nicht loszogen. Wir schlossen dann regelmäßig Wetten ab, ob binnen kurzem ein Unwetter aufziehen würde – und meistens gewann der, der Sturm vorhersagte. Wie aber merkten die Wölfe, daß schlechtes Wetter
im Anzug war?
    Eine andere interessante Beobachtung machte ich bei
Wolf 5/6, einem juvenilen Weibchen, im Nationalpark. Die
Wölfin war ein ausgesprochener »Müllhaldentyp« und hielt
sich tagsüber bevorzugt in einem steilen Gebiet oberhalb der
Müllgrube von Pescasséroli auf. An einem Sommerabend
folgte ich ihr von der Müllgrube bis zu den großen Hotelruinen oberhalb von Pescasséroli. Unter uns beiden lag das
Dorf. Ich achtete darauf, daß ich ihr mit dem Auto nicht
zu nahe kam. Im Ort war alles ruhig. Nur aus Pepes Bar
dröhnte es noch. Die Wölfin blieb oben zwischen den Ruinen. Erst als auch das Licht bei Pepe ausging, kam sie herunter, vorbei am Schlachthof bis ins Dorf hinein. Ich wollte
es einfach nicht glauben. Da lief diese Wölfin mitten durch
das schlafende Dorf hindurch ! Überall heulten Hunde wie
verrückt. Die Wölfin war auf der westlichen Seite des Flusses, mußte also über den Dorfplatz und die Flanierstraße
gelaufen sein, vorbei am Nationalpark-Hauptquartier, und
war dann in südlicher Richtung verschwunden.
    Nichtsdestoweniger haben die wenigsten Menschen in
den Abruzzen je einen Wolf gesehen. Vom Scheinwerferlicht werden Wölfe manchmal auf der Landstraße überrascht. Nur die Wildhüter, die Forstpolizisten und natürlich die Schäfer sehen sie im Gelände ab und zu. Auch wir,
die wir ihnen so nahe auf den Fersen folgten, sahen sie verhältnismäßig selten. Meine Frau Dagmar war schon lange
in den Abruzzen, als sie ihren ersten wildlebenden Wolf
sah : in einer Herbstnacht zwischen dem Tennisplatz und
dem leeren Swimmingpool mitten in Campo di Giove. Wir
waren dem Tier 7/8, einer alten Wölfin, bis ins Dorf hinein gefolgt. Plötzlich war das Signal sehr laut. Ich schaltete unseren großen Suchscheinwerfer ein, und bald hatten wir die Wölfin im Lichtkegel. Sie ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken ; das war ganz normal. An den
Müllhalden konnten wir die Wölfin im hellen Scheinwerferlicht stundenlang beobachten, ohne daß sie davon Notiz
zu nehmen schien. Offensichtlich bedeutete für sie Scheinwerferlicht keine Gefahr. Hier, in Campo di Giove, suchte
die Wölfin auch nach Eßbarem. Von Cansano, unten im
Tal, arbeitete sich ein Personenzug langsam den Berg herauf. Als die beleuchteten Wagen krachend an uns vorüberfuhren, war die Wölfin direkt unten an den Schienen. Sie
schaute den vorbeiratternden Zug nicht einmal an.
    Ihren zweiten Wolf sah Dagmar an der Müllhalde von
Caramánico. Außer dem Wolf waren ein Fuchs und eine
Katze auf dem Müllplatz. Dabei hielt die Katze

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