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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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deutlich
Abstand von dem Fuchs und dieser von dem Wolf. Am
nächsten Morgen stellten wir fest, daß die Tiere von einer
großen Ladung Schlachterabfälle gefressen hatten. Anders
als in Deutschland kommen in Italien viele dieser Abfälle
nicht in die Abdeckerei. Tagsüber nutzen die Dorfhunde
und unzählige Krähen das Angebot, nachts vor allem Füchse,
dann Wölfe und in manchen Gebieten auch verwilderte
Hunde, von denen noch die Rede sein wird.
Haustiere als Beute
    An den Menschen, einziger Feind und Nahrungsspender
zugleich, hat der Wolf sich anscheinend ausgezeichnet angepaßt. Seine Aktivität fällt in die Zeit, in welcher der Mensch
entweder schläft oder, sofern er sich im Freien aufhält, als
sich hauptsächlich visuell Orientierender sieht – und damit
bewegungsbehindert ist. Das gilt nicht nur für die Zeit
tiefen Schnees und für die Nacht, sondern auch für den
Tag, wenn Nebel aufkommt. Am Passo San Leonardo ist
dichter Nebel eine häufige Erscheinung. Im Sommer, wenn
Schafe in dem Gebiet weiden, ist das besonders die Zeit
der Wölfe. Die einheimischen Schäfer mit ihren kleinen
Herden ziehen bei Nebel sofort talwärts und, falls es auch
dort nicht lichter wird, zum Stall zurück. Fremde Hirten
hingegen, häufig in Sachen Wölfen unerfahren, mit großen
Herden und ebenfalls unerfahrenen Hunden, sind sich der
Gefahr nicht immer bewußt, oder es gelingt ihnen nicht
rechtzeitig, die vielen Schafe zu sammeln und ins Tal zu
treiben. (Die Hunde dienen hier nur dem Schutz gegen
Wölfe. Das Zusammenhalten und -treiben muß der Schäfer selber besorgen.)
    In einer solchen Situation geschah die erste Massentötung von Schafen während unserer Arbeit. Es war im Sommer 1974. Luigi Boitani und ich bekamen im Nationalpark
Nachricht, im Maiella-Gebiet seien dreihundert Schafe auf
einmal von Wölfen gerissen worden. Wir riefen die Carabinieri-Station in Santa Eufémia an, die den Bericht bestätigte, worauf wir sofort hinfuhren. Leider kamen wir zu spät.
Hundertfünfzig getötete Schafe hatte man schon wegen der
Seuchengefahr mit Hilfe eines Baggers begraben. Ein Schäfer, der dabeigewesen war, erzählte, am Vortag sei spät am
Nachmittag plötzlich ein Gewitter mit Sturm und dichtem Nebel aufgekommen. Zwei Herden von je fünfhundert Tieren hätten um Roccacaramánico, ein halbverlassenes Dorf an den Hängen des Monte Morone, geweidet. Sie
seien sofort nach unten getrieben worden. Als die Schäfer
die Schafe in die Netzeinzäunungen hineingetrieben hätten, seien plötzlich fünf bis sieben Wölfe dagewesen. Die
Hunde seien weggelaufen, und die Wölfe hätten die Schafe
auseinandergejagt.
    Nachdem das Unwetter vorbei war, zählten die Schäfer
im Umkreis von etwa einem Quadratkilometer hundertfünfzig tote Schafe. Die gleiche Anzahl von Tieren war
verschwunden. Der Amtstierarzt und die Forstpolizei, die
den Vorfall untersucht hatten, bestätigten den Bericht der
Schäfer. So hatten auch wir keinen Grund, die Geschichte
nicht zu glauben. Nur die hundertfünfzig verschwundenen Schafe kamen uns etwas seltsam vor. Warum wurden
sie jetzt nicht gefunden ? Sie gehörten einem der größten
Schafhalter der Region Abruzzi, einem Geschäftsmann mit
recht zweifelhaftem Ruhm.
    Auf Drängen des WWF hatte die Regierung in Rom be schlossen, in diesem Jahr zum erstenmal den Schäfern
Ersatz für durch Wölfe verursachte Schäden zu zahlen.
Uns war klar, daß der Schutz des Wolfes nicht auf dem
Rücken einzelner ausgetragen werden durfte. Dem Großschäfer stand also ein voller Ersatz seines Schadens zu.
Da es sich angeblich um besonders wertvolle, aus Frankreich importierte Tiere handelte, ging es nicht gerade um
kleine Summen.
    Zwei Tage später erreichte uns die Nachricht, daß vierzig der versprengten Schafe gefunden worden waren. Diesmal kamen wir nicht zu spät. Direkt an der Straße unterhalb des Passo San Leonardo lagen die Tiere im Gelände
verteilt: alle tot. Ein Bagger war gerade dabei, unter Anleitung der Forstleute, einiger Schäfer und des Schafhalters ein
großes Loch auszuheben. Es gelang uns gerade noch, das
Zuschütten aufzuschieben und die toten Tiere anzuschauen.
Der Betrug war sofort erkennbar : Die angeblich von Wölfen gerissenen Tiere hatten alle einen sauberen Einstich in
der Halsgegend, nicht von einem Zahn, sondern deutlich
von einem Messer verursacht. Außerdem waren bei jedem
Schaf die Eingeweide entfernt. Sicher, einige Tiere waren
angefressen – gestorben aber waren sie durch menschliche

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