Der Wolf
Einwirkung. Wölfe, Füchse oder Hunde hatten sich
nur nachträglich satt fressen können.
Wir teilten den Forstpolizisten unsere Beobachtungen mit,
und diese waren sehr erstaunt. Der Besitzer hingegen versuchte, ihnen nachdrücklich klarzumachen, es seien Wölfe
gewesen. Das Ganze war jedoch zu offenkundig, und bald
wurde ein neues Protokoll aufgenommen. Der Besitzer, der
unser Kommen nicht gerade freundlich begrüßt hatte, war
plötzlich wie verwandelt. Es kam zu einem langen Gespräch,
bei dem ich wohl recht harte Worte gebrauchte. Luigi bat
mich daraufhin, allein sprechen zu dürfen – und in der
Tat konnte er so etwas viel besser. Nach vielen Gesprächsstunden und einem gemeinsamen guten Essen im Hotel
am Paß kam die ganze Geschichte, wie sie sich vermutlich
zugetragen hatte, ans Licht. Außerdem trafen Luigi und der
Schafhalter folgende Vereinbarung : Wir würden die Sache
nicht an die große Glocke hängen, und er würde kein Gift
gegen die Wölfe auslegen und überdies unsere Bemühungen, im Maiella-Massiv ein großes Schutzgebiet einzurichten, unterstützen, was bei seinem politischen Einfluß von
großer Bedeutung sein konnte. Ich muß zugeben, daß ich
von Luigi im Laufe dieser Jahre vieles gelernt habe.
Was war passiert? Die Geschichte mit dem Unwetter und
dem Angriff der Wölfe stimmte wohl: Den Wölfen gelang
es, einige Schafe zu reißen. Nur waren es nicht gleich hundertfünfzig und die gleiche Anzahl von vertriebenen Tieren. Um doppelte Bezahlung der Schafe zu erreichen, hatten die Schäfer weitere Tiere geschlachtet und ebenfalls
als von Wölfen gerissen deklariert, nicht aber mit vergraben lassen. Diese sowie die »Versprengten« wurden vielmehr schwarz an Metzger der Umgebung verkauft. Einer
von ihnen sah dann auf seiner Fahrt über den Paß mehrere
Forstpolizisten und wurde plötzlich unsicher. Aus Angst,
entdeckt zu werden, lud er die »heiße« Ware wieder ab.
Später wurden die schon leicht stinkenden Schafe so verteilt hingelegt, daß man von weitem hätte schließen können, sie seien von Wölfen gerissen worden.
Im ersten Jahr der Erstattung von Wolfsschäden war
dieser Fall sicher nicht der einzige Betrugsversuch. Insgesamt wurden 1974 in der Region Abruzzi über 130 000
Mark an Schadenersatz gezahlt. Wir schätzten, daß mindestens die Hälfte aller gemeldeten Risse nicht durch Wölfe,
sondern durch Hunde verursacht oder einfach erfunden
waren. Franco Tassi von der Nationalparkverwaltung, der
mit solchen Fragen sehr viel mehr Erfahrung hatte – da bei
ihm zuerst von Bären und dann von Wölfen verursachte
Schäden seit Jahren bezahlt wurden –, schätzte den realen
Schaden auf 20 bis 30 Prozent des angegebenen. In den folgenden Jahren wurden daher auf unseren Vorschlag hin
die Bestimmungen für den Schadenersatz strenger gefaßt.
Nur wirklich als solche identifizierte Risse waren künftig zu bezahlen. Außerdem sollten die Schäfer eine genügend große Anzahl von Hunden halten und nicht mehr als
hundert Schafe je Mann führen. Die letzte Forderung war
von den einheimischen Hirten leicht zu erfüllen, für die
fremden, nur im Sommer auftreibenden Schäfer mit ihren
großen Herden war sie indes zu rigoros. Sie wurde daher
nicht allzu streng ausgelegt. Außerdem hatte die Forstverwaltung damit angefangen, auch für die fremden Herden große, befestigte Pferche im Gebirge zu bauen, in die
weder Wolf noch Bär eindringen können. Die zu bezahlende Schadensumme ist so in der Folge deutlich geringer geworden.
Während die Schafe in den Abruzzen ständig bewacht
werden, weiden dort Kühe und Pferde frei. Einige Male habe
ich Wölfe durch eine Rinder- oder eine Pferdeherde laufen sehen, ohne daß die Tiere sich darum gekümmert oder
die Wölfe Ansätze zur Jagd gezeigt hätten. Für die relativ
kleinen Wölfe, die nur in kleinen Rudeln oder allein laufen,
sind dies einfach zu große Beutetiere. Auch getötete Kälber und Fohlen haben wir nur ganz vereinzelt als sichere
Wolfsrisse identifizieren können. Meistens handelte es sich
um Jungtiere, die von der Mutter getrennt worden waren.
Bei den Mutterstuten waren die Vorderbeine stets zusammengebunden. Das ist eine übliche Methode bei Pferden,
die dafür sorgt, daß die Tiere sich nicht allzu weit entfernen können. Allerdings bedeutet die Fesselung gleichzeitig
ein Handikap gegenüber Wölfen, und einige Fohlen haben
das mit dem Leben bezahlen müssen.
Neben den in Herden gehaltenen Nutztieren gibt es im
Maiella-Gebiet vereinzelt
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