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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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Wildschweine. Wir haben sogar
einmal eine Rotte von sechzehn Tieren gesehen und Wildschweinspuren bis in fast 2000 Meter Höhe gefunden. Einzelne große Tiere, vermutlich Eber, waren auch im Winter
bei tiefen Schneelagen unterwegs, während das Gros der
Tiere sich in tiefen, schneefreien Lagen aufhielt. Aus der
Türkei wird berichtet, daß die Wölfe dort hauptsächlich
Wildschweine jagen. In den Abruzzen fanden wir indessen
kein einziges gerissenes Wildschwein, nicht einmal Wildschweinhaare im Kot der Wölfe. Vermutlich sind auch die
Wildschweine den kleinen Rudeln zu wehrhaft.
    Die weitaus meisten Schafe, die während unserer Arbeit
gerissen wurden, waren Einzeltiere. Nachts schlichen sich
die Wölfe an die Netzeinzäunungen der großen Herden
und holten sich ein Schaf, das sie zumeist aus dem Pferch
herauszogen und draußen dann verzehrten. Die einheimischen Schäfer meldeten ebenfalls den Verlust von Einzeltieren, die auf dem Heimweg oder bei Nebel abseits geraten
waren und dann gerissen wurden. Viele von ihnen wurden
gleich an Ort und Stelle aufgefressen. Übrig blieben bloß
die schweren Knochen und das Fell. Nicht selten aber ließen die Wölfe auch nur angefressene Tiere zurück, wohl
dann, wenn sie beim Fressen gestört worden waren. Reste
von Einzeltieren wurden meistens am nächsten Tag den
Hunden überlassen.
    Allerdings haben wir auch größere Schäden gesehen. Bis
zu zehn gerissene Schafe waren keine Seltenheit, und zweimal waren es über hundert. Es scheint, daß es immer dann
zu Massenrissen kommt, wenn unter den Schafen Panik
ausbricht und eine große Anzahl blökend umherrennt. Für
die Wölfe bedeutet dies ein allzu starkes Signal zum Beutemachen, und sie töten, was sie können – ähnlich dem
Fuchs im Hühnerstall. Im Nationalpark wurde von einem
Bären berichtet, der in einen Schafstall einbrach und hier
alle Schafe – es sollen über hundert gewesen sein – tötete,
bis er vor Ermüdung einschlief. Am Morgen fand ihn der
Schäfer inmitten der toten Schafe schlafend im Pferch.
    Dieses Verhalten des Massentötens kennen wir von vielen Beutegreifern. Die überoptimalen Tötungsauslöser eingepferchter Beutetiere, die nicht entkommen können, sind
so stark, daß die Raubtiere vor lauter Töten gar nicht zum
Fressen kommen. Paul Leyhausen hat in seiner detaillierten
Studie über das Tötungsverhalten von Katzen eine »relative
Stimmungshierarchie« festgestellt, wonach die einzelnen
Abschnitte der Jagd, wie das Anschleichen, das Töten und
das Fressen, jeweils eigene Antriebe und eine eigene Endhaltung haben. Diese müssen jeweils befriedigt sein, bevor
der nächste Abschnitt der gesamten Handlungsfolge ausgelöst wird. Das Töten der Beute ist also nicht vom Hunger
bedingt, sondern von den Schlüsselreizen, die entstehen,
wenn eine Beute durch die Jagd in eine bestimmte Situation gebracht wird. Tauchen immer neue Schlüsselreize
zum Töten auf, reagiert das jagende Tier entsprechend.
Nur das Auf-Jagd-Gehen, das Suchen nach Beute, also das
»Appetenzverhalten«, wird auch durch den Hunger gesteuert.
    In der für Raubtiere unnatürlichen Situation einer Massenhaltung bewegungsbeschränkter Beutetiere kann es daher
zu solchen Tötungsexzessen kommen. Ganz anders als bei
der Jagd auf wildlebende Beutetiere, die, wenn gerissen,
sogleich von den Wölfen aufgefressen werden, töten sie
daher manchmal mehr Haustiere, als sie verwerten können. Erki Pulliainen berichtet von einer Untersuchung in
Nordfinnland, wo von einhundertneunundvierzig Schafen,
neun Kühen, fünfzehn Kälbern und drei Pferden, die getötet wurden, nur einunddreißig Schafe, drei Kühe, fünf Kälber und ein Pferd aufgefressen wurden.
    Dieses Verhalten ist es auch, das den – verständlichen
– Haß der Schäfer gegen die Beutegreifer, hier insbesondere den Wolf, hervorruft. Der gelegentliche Verlust eines
Schafes, eines Fohlens, eines Kalbes wäre zu verschmerzen. Aber gleich hundert und mehr gerissene Tiere – das
ist zuviel ! Und diese dann nicht einmal alle aufgefressen !
Jedesmal nach einem solchen Vorfall waren die Zeitungen
voll der Berichte, und die Stimmung gegen die Wölfe und
ihren Schutz äußerte sich lautstark.
Mortalität der Wölfe
    Doch auch im umgekehrten Fall – beim gewaltsamen Tod
eines Wolfes – berichteten die Zeitungen und das Fernsehen voller Abscheu von der Tat, so, als Luigi Boitani und
ich unseren ersten Wolf, Wolf 1/2, tot in einem Bach fanden. Das Tier war im Nationalparkgebiet offenbar

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