Der Wolf
den wir nicht hatten
fangen können. Welpen brachte sie im Frühjahr danach
keine zur Welt, und als ich im Sommer des folgenden Jahres an der alten Höhle heulte, bekam ich keine Antwort.
Dieses Rudel existierte dann wohl nicht mehr.
Von den fünfundzwanzig in den Jahren 1974 bis 1976 uns
bekanntgewordenen toten Wölfen in den Abruzzen starben mindestens neun, vorwiegend junge Wölfe, an Gift,
drei erlagen Schußverletzungen, ein Wolf wurde überfahren. (Die Todesursachen der übrigen zwölf waren nicht zu
erfahren.) Menschliche Einflüsse waren also die bei weitem häufigste Ursache für die Mortalität der Wölfe. Von
unter natürlichen Umständen – durch Krankheit, Alter,
Verletzungen oder Unterernährung – gestorbenen Wölfen
in den Abruzzen besitzen wir zwar keine Informationen ;
doch bei einem geschätzten Bestand von etwa fünfundzwanzig Wölfen, von denen binnen zweier Jahre dreizehn,
wahrscheinlich aber noch mehr getötet wurden, bleiben für
einen natürlichen Tod nicht mehr viele übrig.
Räumliche Organisation
Aufgrund der versteckten Lebensweise der Wölfe waren wir
nicht in der Lage, uns ein genaues Bild von der Struktur
der Population, wie Altersaufbau, Gruppengrößen, Reproduktionsraten und so weiter, zu machen. Die Beobachtungen an der Wölfin 7/8 und ihrem Rudel zeigen aber, daß
auch die Wölfe in den Abruzzen kleinere Rudel zu bilden
vermögen, die eine Zeitlang stabil sind und ein Gebiet in
Anspruch nehmen, das gegen fremde Artgenossen verteidigt wird. Die hohe anthropogen bedingte Sterberate wie
die auch sonst von Menschen stark abhängigen Lebensbedingungen lassen aber solche Rudel, und damit auch die
räumliche Organisation der Population, nicht langlebig
werden. Der hohe Nahrungsbedarf von Jungtieren und der
dadurch bedingte höhere Druck auf Haustiere als potentielle Nahrungslieferanten führen dazu, daß die Verfolgung der Wölfe durch den Menschen zunimmt, wenn sich
irgendwo ein Rudel gebildet hat. Die Folge ist eine weitgehend in Einzeltiere oder Kleingruppen aufgesplitterte
Restpopulation von Wölfen, die hauptsächlich von Abfällen leben und nur unter besonders günstigen Bedingungen sich vermehren und Welpen aufziehen können.
Die vermutlich sehr niedrige Geburtenrate findet so ihre
Erklärung, auch das nur sporadische Auftreten des Wolfes
in vielen Gebieten der Abruzzen. Als wir 1973 mit unserem
dortigen Projekt anfingen, lagen aus dem Gebiet des Gran
Sasso d’Italia keine Berichte von Wölfen vor. Zwei Jahre
später wurde jedoch von erheblichen Rißschäden berichtet,
und alles deutet darauf hin, daß die Verursacher tatsächlich
Wölfe waren. Auch im Maiella-Gebiet waren Wölfe lange
Jahre unbekannt oder zumindest sehr selten gewesen. Mehrere Schäfer, die in den letzten Jahren Schäden erlitten hatten, erzählten uns, daß ihnen dies zum erstenmal in ihrem
ganzen Leben widerfahren sei. Schließlich mußte sich der
WWF sogar energisch zur Wehr setzen gegen Gerüchte, wir
hätten die Wölfe eingeführt. Vom Flugzeug aus sollen wir
aus Kanada importierte Wölfe mit dem Fallschirm abgesetzt haben – das war die häufigste Variante. Sicher hat es
hier immer vereinzelt Wölfe gegeben ; doch erst durch die
erfolgreiche Aufzucht von mindestens drei uns bekannten
Würfen wurde der Druck auf Haustiere spürbar. Inzwischen
sind die meisten dieser Wölfe entweder gestorben oder verschwunden. Von Schäden wird kaum noch berichtet. Dafür
tauchten weiter westlich, in einem Gebiet, aus dem zur Zeit
unserer Arbeit keine einschlägigen Berichte vorlagen, Wölfe
auf. Offensichtlich hatte sich hier durch erfolgreiche Welpenaufzucht ein neues Rudel gebildet. Allerdings blieb auch
die einheimische Bevölkerung nicht untätig: Vier Wölfe
starben binnen kurzer Zeit, und so war auch von diesem
Rudel bald nichts mehr zu hören.
Wolf-Hund-Bastardierung
Neben der direkten Verfolgung droht den Wölfen in einem
Gebiet mit geringer Dichte und intensiver menschlicher
Nutzung eine weitere Gefahr: die Bastardierung mit Hunden. Außer der Wölfin 7/8 fingen wir im Winter 1975 im
selben Gebiet die Wölfin 9/10. Wir wissen nicht, ob sie von
dem Rudel abstammte, das wir ein Jahr zuvor bei der Zählung gesehen hatten, oder ob sie aus dem Rudel der Wölfin
7/8 ausgestoßen worden war. Auf jeden Fall hielt sie zu 7/8
und deren Begleitern Abstand und bewohnte das Gebiet
nördlich des Passo San Leonardo. Während des Winters
deutete alles darauf hin, daß sie allein war. Paolo
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