Der Wolf
Barrasso
sah dann im Sommer als erster die Wölfin in Begleitung
eines schwarzen Welpen. Im folgenden Winter hörten wir
mehrmals das Heulen des Rudels oberhalb von Santa Eufémia, wobei sich deutlich Belltöne ausmachen ließen. Wir
waren daher nicht erstaunt, als wir den ersten Bastard fingen : ein fast schwarzes Tier, nur an den Beinen und an der
Brust mit weißen Flecken besetzt. Wenige Wochen später gingen uns zwei weitere dieser ansonsten sich völlig
wie Wölfe verhaltenden Tiere in die Fallen : ein schwarzes Weibchen mit weißen Flecken und ein wolfsfarbenes
Weibchen, das nur von einem Kenner als Mischling zu
erkennen war. Einem Schäfer jedenfalls fiel nichts Ungewöhnliches auf ; für ihn war es ein Wolf. Wenig später sah
ich dann das ganze Rudel beisammen. Es umfaßte außer
der Wölfin und einem vermutlich später hinzugekommenen Wolfsrüden sechs Jungtiere : vier schwarze und zwei
wolfsfarbene.
Wir diskutierten lange, was wir mit den Jungen tun sollten. Ich hatte sie allerdings alle drei nach dem Fangen erst
einmal, mit Senderhalsbändern versehen, wieder freigelassen. Damit waren unsere Einflußmöglichkeiten eigentlich
auch erschöpft, denn trotz intensiver Versuche gelang es
mir nicht, weitere Bastarde zu fangen. Sie waren auch alle
derart scheu, daß ein Abschuß kaum möglich war. Und Gift
wollten wir auf keinen Fall verwenden – nicht nur wegen
der Gefahr für die beiden »echten« Wölfe. Damit blieb uns
nichts anderes übrig, als das zu machen, was ich ohnehin
als das Bestmögliche ansah : nämlich nichts.
Ich ging von folgender Überlegung aus : Es war nicht
anzunehmen, daß wir zufällig einen ganz seltenen Vorfall beobachtet hatten. Aus Israel wurde von einem ähnlichen Fall berichtet, bei dem eine Wölfin sich einem Schäferhund angeschlossen und mit ihm Welpen bekommen
haben sollte. Weitere Berichte lagen auch aus Nordamerika vor. Bastardierungen am Rande einer Population zwischen einzelnen Wölfen und Hunden dürften demnach auch
mehrmals in Italien vorgekommen sein. Ein Wolf in der
Gruppe frißt den Hund; allein aber paart er sich mit ihm.
Dabei ist, wegen der notwendigen Anregung zur Spermienreifung beim Wolfsrüden, die Paarung zwischen Hund
und Wölfin vermutlich die üblichere Form.
Trotz einer gelegentlichen Bastardierung ist die Wolfspopulation in den Abruzzen in genetischer Hinsicht bis jetzt
wahrscheinlich nicht wesentlich davon beeinflußt worden.
Soweit wir es beurteilen können, besteht sie aus reinen
Wölfen. Das gleiche gilt für die nordamerikanischen Wölfe.
Inzwischen liegen zwar biochemische Untersuchungen vor,
die andeuten, daß Bastardierungen etwa zwischen Wölfen und Kojoten viel häufiger sind, als man es bislang zwischen zwei getrennten Arten, um die es sich hier ja handelt,
für möglich gehalten hat. Wegen der nicht unterscheidbaren Molekularstruktur der untersuchten Merkmale beim
Wildtier Wolf und bei seinem domestizierten Nachkommen Hund wissen wir jedoch nicht, ob hier gleiches zutrifft.
Vieles spricht allerdings dagegen. Ein Bastard aus Wolf
und Kojote ist vom Aussehen her kaum zu erkennen, einer
aus Wolf und Hund schon eher. Sichtbeobachtungen von
Wolfshunden sind aber äußerst selten, auch wenn Kreuzungen in der ersten Generation offenbar nicht ganz ungewöhnlich sind. Das kann nur bedeuten, daß der einmalige
»Fehltritt« eines Wolfes ohne populationsgenetische Folgen
bleibt, Rückkreuzungen zwischen den Bastarden und normalen Wölfen aus der Population also höchstwahrscheinlich nicht auftreten. Obwohl die Bastarde sich in ihrem
Verhalten dem Menschen gegenüber nicht von dem der
Wölfe unterscheiden, sind sie für die Wölfe keine Artgenossen, jedenfalls so lange nicht, wie den Wölfen wirkliche Artgenossen zur Verfügung stehen. Die Bastarde bleiben demnach unter sich oder vermehren sich weiter mit
Hunden. Für eine ansonsten lebensfähige Wolfspopulation
bedeutet die Bastardierung somit keine Gefahr. Für eine
Population indessen, die durch weitere Einkreuzungen oder
durch Konkurrenz mit den Bastarden gefährdet wäre, ist
es vermutlich sowieso zu spät. Die Verpaarung mit Hunden ist dann nur der letzte Akt ihres Verschwindens, wobei
freilich ganz andere Gründe maßgeblich sind als derartige
»Seitensprünge«.
Hunde als Konkurrenten
Erst Jahre später sollten wir erkennen, daß Hunde wenn
nicht als mögliche Geschlechtspartner, so doch als Konkurrenten für die Wölfe einen Einfluß auf deren Überlebenschance haben. Als Anfang
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