Der Wolf
führte die eigenen Soldaten sicher
ins Feindesland.
Der Umstand, daß der Wolf mit Kampf und Tod in Verbindung gebracht wurde, war indessen weder bei den Germanen noch bei den Ägyptern abwertend gemeint. Ganz
im Gegenteil : Es ging hier um den ruhmvollen Tod des
Kriegers oder des Herrschers, nicht aber um den Tod des
wehrlosen Opfers. Auch die führenden Geschlechter vieler
Turk- und Tatarenvölker leiteten ihre Herkunft von mythologischen Wölfen ab, so auch der Mongolenfürst Dschingis
Khan, der besonders stolz auf seinen Ahnherrn, den Wolf,
war. Noch empfand man wohl den Wolf nicht als Bedrohung der eigenen leiblichen oder wirtschaftlichen Existenz.
In Nordeuropa waren die ausgedehnten Wälder, die Moore
und Sümpfe noch weitgehend ungenutzt, und dementsprechend dürften Konfrontationen mit Wölfen selten gewesen
sein. Auch in Ägypten war der Wolf keine Gefahr. Zumindest im intensiv genutzten Niltal gab es kaum Wölfe, bildete doch der Nil südöstlich des Mittelmeers die westliche
Verbreitungsgrenze des Wolfes. Weiter nach Afrika ist dieser nie vorgedrungen.
Anders war und ist es hingegen weiter östlich, in Palästina, wo Wölfe bis heute überlebt haben. Stets standen
sie hier in Konflikt mit den Hirten des Landes. Nicht von
ungefähr erfolgt im Alten Testament erstmals auch eine
moralische Verdammung des Wolfes, wird der »böse Wolf«
als der leibhaftige Satan im Zusammenhang mit Habgier
und Zerstörungswut des Menschen dem »guten Hirten«
gegenübergestellt. So heißt es an einer Stelle (Hesekiel 22,
27) : »Die Fürsten von Jerusalem gleichen den räuberischen
Wölfen, denn sie vergießen Blut und stürzen Menschen
ins Verderben des niedrigsten Gewinnes wegen.« Und im
Neuen Testament schärft Jesus seinen Jüngern in der Bergpredigt ein : »Hütet euch vor den falschen Propheten. Sie
kommen zu euch in Schafskleidern, inwendig aber sind sie
reißende Wölfe.«
Bei den Griechen der Antike war diese Version des Wolfsbildes unbekannt, zumindest in der herrschenden Klasse.
Zeus, Gottvater der Griechen, verwandelte zwar den Tyrannen Lykaon zur Strafe in einen Wolf, der als Verkörperung
der Wildheit galt. Doch zuweilen trat der Wolf auch als
Beschützer der Menschen vor noch wilderen Tieren auf.
So schützte er sie vor dem schrecklichen Stier von Argos.
In Delphi soll er das Heiligtum des Apollo gegen einen
Dieb verteidigt haben, wofür man ihm ein Denkmal setzte.
Sogar Aphrodite, Göttin der Schönheit und der Liebe, wurde
manchmal in Begleitung eines Wolfes dargestellt. Ansonsten erfahren wir in der antiken griechischen Mythologie
recht wenig über den Wolf. Er spielte hier nicht mehr die
gleiche große Rolle wie bei den Naturvölkern mit ihren
zumeist animistischen Glaubensvorstellungen oder bei den
Hirtenvölkern, die in ständigem Konflikt mit Wölfen lebten. Im alten Griechenland suchte man nach rationalen
Erklärungen für die astronomischen, physikalischen und
biologischen Phänomene der Welt. Auch brachte es die
zunehmende Verstädterung der Herrschenden mit sich, daß
die Erfahrungen der Landbevölkerung, also auch die im
Umgang mit wilden Tieren wie dem Wolf, in den Hintergrund rückten.
Dies galt in vermehrtem Ausmaß für das antike Rom und
das wachsende Römische Reich. Auch Roms Wohlstand
beruhte auf einer blühenden Landwirtschaft, auf Ackerbau und Viehzucht. Doch wie zuvor in Griechenland lebten auch hier die Besitzer des Landes und der Herden in
den Städten. Dementsprechend spielte die Jagd eine untergeordnete Rolle. Neben Hirsch, Wildschwein, Fasan und
dem aus Mesopotamien eingeführten Damhirsch wurden
zwar gelegentlich auch Wölfe gejagt, doch kam es nicht
zu einer organisierten Verfolgung. Für den Schafbesitzer
war der Wolf nur einer unter vielen Störfaktoren bei der
Wohlstandssicherung und -vermehrung. Getötete und angefressene Schafe bekam er nicht zu Gesicht, und was die
Landbevölkerung dachte, ist uns nicht überliefert. Doch
die Schäden hielten sich vermutlich in Grenzen, denn trotz
umfangreicher Waldrodungen gab es für die Wölfe noch
genügend große Rückzugsgebiete, in denen sie eine ausreichende Anzahl wilder Beutetiere fanden.
Natürlich erklärt dies nicht, warum gerade in Rom der
Wolf im Zusammenhang mit der Stadtgründung so verehrt
wurde. Aber die fehlenden Konflikte einer urban geprägten Gesellschaft mit dem noch weitgehend ursprünglich
lebenden Wolf waren hierfür die Voraussetzung. Jedenfalls
begann die Geschichte damit, daß – so die
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