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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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krabbeln sie ein wenig umher ; am Ende dieser
Periode versuchen sie bereits, sich gegenseitig über den Rükken zu beißen – die ersten noch sehr unbeholfenen Spiele.
Ansonsten aber ähneln sie eher vollgestopften Würsten mit
kleinen Beinen und winzigen, noch hängenden Ohren zu
beiden Seiten einer breiten Schnauze, deren Hauptaufgabe
nach wie vor das Saugen an der prallen Zitze ist.
    Dann aber geht es los. Binnen weniger Tage entwachsen
sie ihrem Säuglingsdasein. Die Beine werden deutlich kräftiger, die Ohren stellen sich auf, und die Schnauze mit den
ersten spitzen Milchzähnen streckt sich zur Wolfsähnlichkeit. Doch diese äußere Veränderung ist gering im Vergleich
zu der stürmischen Verhaltensentwicklung. Allein in den
zehn Tagen bis zum Ende ihres ersten Lebensmonats entwickeln sich 60 Prozent aller einem Wolf zur Verfügung
stehenden Verhaltensweisen, und zehn Tage später verfügen
sie schon über 80 Prozent ihres gesamten späteren Repertoires. Es ist wie eine Metamorphose, ein Wandel vom Baby
zum Kleinkind, wie wir es uns schneller nicht vorstellen
können. Danach fehlen eigentlich nur noch jene Verhaltensweisen, die mit der Fortpflanzung zusammenhängen,
wie das Sexualverhalten, das Gebären und die Aufzucht
eigener Welpen. Doch auch viele dieser Verhaltensweisen
können bei entsprechender Auslösung zumindest formal
auftreten, wie wir am Beispiel Anfas gesehen haben.
    So ist die Zeit vom Beginn der vierten bis zum Ende
der fünften Lebenswoche eine für die Welpen ganz entscheidende Phase, in der sie sich von frischgeborenen Nesthockern zu richtigen kleinen Wölfen entwickeln, und das
in einem wahrhaft erstaunlichen Tempo. Der »Ernst des
Lebens« beginnt eben auch für einen kleinen Wolf sehr früh.
Schon in zartem Alter wird er dazu angehalten, sich auf die
Wechselfälle des Erwachsenendaseins vorzubereiten. Viele
der dazu erforderlichen Verhaltensweisen zeigt er zuerst im
Spiel, das so zu einer Art Training für den Ernstfall wird.
Noch bevor sie selber Fleisch fressen oder gar eigene Beutetiere töten können, schleichen sich die Wolfswelpen an
und springen mit tapsigen Bewegungen alles an, was wie
ein Beuteobjekt erscheint, sei es ein Stück Fell, sei es tatsächlich Fleisch oder sei es eines der Geschwister, packen
die »Beute« mit ihren gerade durchbrechenden Zähnen und
schütteln sie, als gelte es, sie schnellstmöglich ins Jenseits zu
befördern. Wenn sie dann auch noch das angebotene Fleisch
zu fressen beginnen, sind sie kaum noch davon zu trennen.
Wütend knurren und greifen sie jeden sich Nähernden an,
und sei dieser um noch so vieles größer als sie selber. Bei
der Futterfrage tritt der »Ernstfall« – die Konkurrenz mit
den Geschwistern – offensichtlich sehr bald ein.
Unterschiede bei Wolf und Fuchs
    Jahre später konnte ich einige interessante Unterschiede
im Verhalten junger Wölfe und junger Füchse beobachten. Anfänglich waren sie alle gleich groß und auch gleich
»egoistisch« – nicht minder als die Kinder unserer eigenen
Art. Tierjunge wie Menschenkinder sind darauf aus, möglichst viel vom Kuchen zu bekommen und sich das, was sie
nicht sofort verzehren können, für später zu sichern. Wolfs-
und Fuchswelpen gleichen sich zudem in der aggressiven
Potenz ihrer Selbstbehauptung. Wenn es ums Futter geht,
hört jede Freundschaft auf. Wie kleine Wüteriche gingen
die Welpen der einen wie der anderen Art aufeinander los.
Hatten sie dann möglichst viel vom Futter erobert, nutzten sie verschiedene Strategien, um es sich für den Augenblick und für später zu sichern.
    Noch bevor sie angefangen hatten zu fressen, rannten die
Fuchswelpen bei der gemeinsamen Fütterung, so schnell sie
konnten, mit je einem Futterstück im Maul davon und vergruben es irgendwo in der Umgebung, liefen dann schleunigst zurück, griffen sich das nächste Stück und vergruben
es ebenfalls. So legte jeder Welpe ringsum kleine Depots an,
in den Büschen, in einem Winkel unseres Gartens, überall
dort, wo sich rasch ein Loch graben, das Futter darin verbergen und das Ganze mit der Schnauze zuschütten ließ. Erst
wenn das meiste Futter weg war, machten sie sich daran, die
Stücke wieder auszubuddeln und in aller Ruhe ihren Teil
zu vertilgen. Zwar fanden sie hinterher nie alle Verstecke
wieder, und manch eines ging auch an andere Welpen verloren, doch das hob sich auf Dauer gegenseitig auf.
    Die kleinen Wölfe gingen ganz anders vor. Als wären
sie am Verhungern, stürzten sie sich

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