Der Wolf
jedesmal auf das Futter und verschlangen soviel wie möglich. Nach ein, zwei
Minuten lagen sie dann kugelrund und erschöpft im Gras;
nicht selten mußten sie das gerade Hinuntergeschlungene
wieder hervorwürgen, worauf sie es sogleich erneut fraßen.
Erst danach bemühten sie sich, sofern noch Futterstücke
vorhanden waren, hier und dort Depots anzulegen. Davon
gefressen haben sie allerdings selten, denn meistens waren
die Füchse vor ihnen dort. In den nächsten vierundzwanzig Stunden war ihnen ohnehin wohl nicht danach zumute.
Dann aber ging das große Fressen von neuem los.
Inzwischen hatten sie, schon wenige Stunden nach der
Fütterung, den ersten, dünnen und dunklen Kot abgesetzt,
der auch für erwachsene Wölfe typisch ist, nachdem sie viel
frisches, gerade erbeutetes Fleisch und Innereien gefressen
haben. Erst danach wird der Kot fester und enthält dann
auch Knochensplitter, Haare, Federn oder andere unverdauliche Teile. Zum Schluß wird der Kot ganz fest und hell,
woran man im Feld erkennen kann, daß die Tiere darangehen, die letzten Reste ihrer Beute zu verzehren.
Hier erhebt sich nun die Frage, warum die Welpen zweier
so nah verwandter Arten wie Wolf und Fuchs sich dermaßen unterschiedlich verhalten, zumal ihre Lebenssituation
im und am Bau sehr ähnlich ist. Die einen wie die anderen bekommen von ihren Eltern das Futter zugetragen und
müssen es mit ihren Geschwistern teilen. Warum also gehen sie auf so unterschiedliche Weise ans Fressen ? Nun,
für die Füchse bleibt die enge Bindung an einen Bau oder
bestimmte andere Orte im Revier ein Leben lang bestehen.
Wenn sie irgendwo Futter vergraben, steht ihnen das leicht
wieder zur Verfügung. Die jungen Wölfe hingegen ziehen
bald mit ihrem Rudel fort, wandern stets in ihrem großen
Revier umher und kommen womöglich erst Wochen später wieder an denselben Ort. Dann aber kann das vergrabene Futter längst verdorben oder von anderen Tieren entdeckt und ausgegraben worden sein. Für Wölfe wäre das
Verstecken von Futter also unökonomisch. Hinzu kommt,
daß sie zumeist von großen Beutetieren leben, die sie nicht
jeden Tag, sondern nur unregelmäßig erlegen können. Da
gilt es soviel zu nutzen wie nur möglich, solange der Vorrat reicht. Danach muß man auch hungern können. Die
Füchse indessen können immer wieder ein paar Mäuse
fangen oder, wenn diese wieder einmal ein Populationstief haben, sogar von Regenwürmern und Insekten leben,
was zwar nicht gerade viel ist, aber im Sommer immerhin
den täglichen Hunger stillt.
Als die Wolfswelpen älter wurden, kam ein weiterer erheblicher Unterschied in ihrem Verhalten gegenüber dem der
Fuchswelpen zum Vorschein. Während bei diesen weiterhin
jeder sich selbst der Nächste blieb, wandelte sich das Verhalten der Wölfe im Alter von vier Monaten deutlich. Vor
allem bei größeren Futterstücken fraßen sie zunehmend
ohne starke gegenseitige Aggression, wie es auch für die
erwachsenen Rudelmitglieder typisch ist. Hier und dort
wird geknurrt, ein rangniedriges Tier manchmal auch vom
Futter kurz vertrieben ; ansonsten aber bekommt jeder seinen Teil. Allerdings: Auch dann wird gefressen, bis nichts
mehr hineinpaßt.
Jagd- und Tötungsverhalten
Bei der schnellen Verhaltensentwicklung der Wolfswelpen
hatten wir festgestellt, daß sie – wie übrigens auch die
Fuchs welpen, aber kaum jemals ein Hundewelpe – schon
im Alter von nur sechs Wochen fast das gesamte Verhaltensrepertoire ihres späteren Lebens beherrschen. Das heißt
freilich noch lange nicht, daß dieses Verhalten auch immer
sinnvoll und mit den anderen Verhaltensweisen koordiniert
auftritt. Von den dafür notwendigen Lernprozessen, die
oftmals im Spiel erfolgen, wird noch ausführlich die Rede
sein. Nur an einem Beispiel möchte ich hier beschreiben,
wie unabhängig voneinander reifende Verhaltensweisen zu
einem koordinierten Ganzen verknüpft werden, und zwar
am Jagdverhalten.
Zu diesem Verhaltenskomplex habe ich keine systematischen Versuche gemacht. Vielmehr fanden alle Beobachtungen sozusagen irregulär statt, als Nebenprodukt ungeplanter und meistens auch ungewollter Situationen, von denen
mich manche nachträglich teuer zu stehen kamen. Auch
entstanden hierbei in zwanzig Jahren immer wieder Konflikte mit den Herren von der jagenden Zunft. Hunde zu
halten, die gelegentlich auch mal jagen, ist schon schlimm
genug, jedoch nichts gegenüber dem Affront, in einem Jagdrevier mit Wölfen aufzutreten, und seien sie noch so jung
und
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