Der Wolf
Futterbetteln entstanden. Das heißt allerdings nicht, daß sich die
aktive Unterwerfung im Laufe der ontogenetischen Reifung aus dem Bettelverhalten sozusagen als individueller
Lernprozeß entwickelt, wie wir es etwa bei der Beißhemmung kennengelernt haben. Eine einfache Beobachtung
zeigt, daß dies nicht so sein kann. Bei allen meinen Wolfswelpen habe ich die ersten Ansätze zu aktiver und auch zu
passiver Unterwerfung beobachten können, lange bevor
die Welpen festes Futter im größeren Ausmaß fraßen und
darum bei den erwachsenen Wölfen bettelten. Es handelt
sich vielmehr um einen stammesgeschichtlichen Prozeß,
um eine »Ritualisierung«, wie wir es in der Ethologie nennen. Darunter verstehen wir eine Veränderung von Verhaltensweisen im Dienste der Signalwirkung. Manchmal
stammen diese Verhaltensweisen aus demselben Funktionskreis, in dem das Signal eingesetzt wird, zum Beispiel bei
der Beißintention, die zu einem Signal der Drohung wird.
Bei der aktiven Unterwerfung dagegen stammt die Verhaltensweise aus einem ganz anderen Funktionskreis, nämlich aus dem Nahrungserwerbsverhalten. Auch aus den
aufgeregten Schwanzbewegungen beim Futterbetteln hat
sich ein Signal entwickelt. Es zeigt stets an, daß der Wolf
sich in einem Zustand erhöhter Erregung befindet. Beim
Imponieren etwa wird meistens der Schwanz langsam und
sehr steif bewegt, bei der freundlichen Begrüßung dagegen locker hin und her gewedelt. Erst die Art und Weise,
wie der Schwanz bewegt wird, zeigt also an, ob der Wolf
aggressiv oder freundlich gestimmt ist.
Nun ist es aber nicht so, daß ein Partner nur an der
Schwanzbewegung allein erkennen kann, in welcher Stimmung der andere sich befindet. Vielmehr verständigen sich
die Wölfe mit Hilfe einer Kombination vieler Ausdruckselemente, etwa der Ohren, der Gesichtsmimik, der Körper-
und der Schwanzhaltung. Allein für sich gesehen läßt sich
beispielsweise an der Ohrhaltung die Stimmung des Wolfes nicht erkennen. Neben den Ausdrucksfunktionen hat
ja die Stellung der Ohren gleichzeitig eine Funktion bei der
Ortung von Geräuschen, und so werden sie nie für mehr
als nur kurze Augenblicke in einer bestimmten Stellung
Spielaufforderung.
gehalten. Den Partner zu verstehen bedarf also der Einbeziehung des Ausdrucks des ganzen Körpers wie auch aller
Lautäußerungen. Außerdem kennt das einzelne Rudelmitglied ja jeden anderen Wolf im Rudel und seine Beziehungen zu diesem, so daß ihm schon aus Erfahrung das Anliegen des anderen deutlich wird.
Spielverhalten
Dieses situationsbedingte Erkennen von Signalen läßt sich
sehr deutlich im letzten der zu behandelnden sozialen Bereiche beobachten: beim Spielverhalten.
Unter Wölfen gibt es im wesentlichen drei Formen einer
Attacke auf einen Rudelgenossen. Die erste – ich nenne sie
»Angriff« – haben wir schon kennengelernt : Ohne Zeichen
von Aggression läuft der Angreifer mit großer Geschwindigkeit auf einen anderen Wolf zu und beißt ihn, wenn
dieser sich nicht durch Flucht retten kann. Bei der zweiten Form – nennen wir sie zur Unterscheidung »Überfall«
– handelt es sich auch um eine, jetzt allerdings gehemmte,
Attacke auf einen Rangniedrigeren : Bei vollständigem Ablauf
fixiert der Angreifer zuerst von weitem sein Opfer. Dann
schleicht er sich langsam näher, und plötzlich prescht er
los, wobei er in der letzten Phase besonders hohe Sprünge
macht. Dadurch entsteht beim fast gleichzeitigen festen
Aufsetzen aller vier Beine auf der Erde ein leicht dumpfes Geräusch. Wenn nicht schon früher, so bemerkt das
Anstarren
Opfer spätestens jetzt, was vor sich geht, und rennt in der
Regel weg. Es scheint dem Angreifer also gar nicht darum
zu gehen, seinen Gegner zu erreichen, sondern nur darum,
ihn zu vertreiben.
Bei der dritten Form schließlich handelt es sich um eine
»Spielattacke«. Vom aggressiven Überfall ist diese Spielaufforderung aber kaum zu unterscheiden. Es sieht aus wie jener
mit fixiertem Anschleichen und hopsendem Voranpreschen.
Erst kurz bevor der Gegner erreicht wird, zeigt der Angreifer womöglich seine Spielintention an, etwa durch Kopfschleudern oder Zickzacksprünge. Trotzdem nimmt das
Opfer jetzt nicht Reißaus, sondern stellt sich dem Angriff,
und bald wird intensiv gespielt.
Die Absicht des Angreifers ist also in den beiden letzten
Fällen nicht aus der Körperhaltung allein zu erkennen und
auch nicht aus etwaigen Lautäußerungen, denn in beiden
Situationen geht es, mit Ausnahme des
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